Ende August hatte ich bereits über ein laufendes Verfahren beim Bundesgerichtshof berichtet, bei dem es um die Berechtigung von Versandhändlern ging, auf die gesetzlich vorgesehene Zuzahlung zu verzichten; wie es bei eigentlich allen Versandhändlern im Diabetes-Bereich gängige Praxis ist, auch wenn dies eher totgeschwiegen wird.
Zunächst, wie funktioniert das Zuzahlungssystem:
Aufgrund von § 33 Abs. 8 SGB V in Verbindung mit § 61 SGB V müssen gesetzlich Versicherte, die Hilfsmittel erwerben hierzu eine Zuzahlung in Höhe von 10 % des Abgabepreises zahlen, mindestens jedoch EUR 5,00 und höchstens EUR 10,00. Das Geld wird allerdings nicht von der Krankenkasse eingezogen, sondern nach § 43c Abs. 1 SGB V von den Leistungserbringern (Apotheken, Versandhändlern, Herstellern). Die Zuzahlung wird dann mit dem Anspruch gegen die Krankenkasse verrechnet. Beispiel: D kauft eine Packung Katheter zum Abgabepreis von EUR 66,00. Die Zuzahlung beträgt hier EUR 6,60 (10 %, mindestens EUR 5,00 und maximal EUR 10,00). Der Händler erhält also einen Betrag in Höhe von EUR 59,40 von der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Fall:
Ein Diabetes-Versandhändler aus Geislingen hat damit geworben, dass er die Zuzahlung von gesetzlich Versicherten nicht vereinnahmen würde und versprach sich hierdurch einen Wettbewerbsvorteil. Hiergegen hat ein Wettbewerbsverband geklagt. Vor dem Landgericht Ulm (vgl. LG Ulm, Urteil vom 23.06.2014 – 3 O 4/14) wurde die Klage abgewiesen. In der Berufungsverhandlung verbot das Oberlandesgericht Stuttgart dem Versandhändler jedoch damit zu werben, die Zuzahlung nicht zu kassieren oder sie tatsächlich nicht zu kassieren (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 09.07.2015 – 2 U 83/14 ). Das OLG Stuttgart kam insoweit – abweichend vom Landgericht Ulm – zu dem Ergebnis, dass die Leistungserbringer verpflichtet sind, die Zuzahlung zu kassieren und es einen wettbewerbsrechtlichen Verstoß darstellt, dies nicht zu tun.
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt (BGH, Urteil vom 01.12.2016 – I ZR 143/15. Entgegen der Vorinstanz vertrat der BGH die Auffassung, dass die Zuzahlung nicht dazu dient, den Versicherten vor Augen zu führen, wie teuer Hilfsmittel sind und diese zu einem maßvolleren Umgang mit den Hilfsmitteln zu konditionieren. Vielmehr gehe es einzig und allein darum, Geld im Gesundheitswesen einzusparen. Da die Krankenkasse die Kosten der Zuzahlung nicht trägt, wenn der Versandhändler diese erlässt, wird der Zweck der Vorschrift über die Zuzahlung erfüllt und die Krankenkasse in Höhe der Zuzahlung entlastet, deswegen könne der Versandhändler frei über die Zuzahlung verfügen und diese entweder kassieren oder auf sie verzichten. Nach der Meinung des BGH ist die Zuzahlung nicht dazu gedacht, Wettbewerber vor einem Preiskampf zu schützen. Diejenigen, die die Zuzahlung kassieren, wie im Wesentlichen Apotheker, sollen durch die Vorschriften zur Zuzahlung nicht geschützt werden.
Hinweis: Die schriftlichen Urteilsgründe liegen naturgemäß noch nicht vor, die Informationen stammen aus einem Terminsbericht.
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Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.