Abbildung Schwerbehindertenausweis ((c) BMAS)

Merk­zei­chen sind auch bei einem GdB klei­ner 50 möglich

Abbildung eines Schwerbehindertenausweises
© BMAS

Wei­ter­hin vie­le Men­schen ent­schei­den sich, eine Schwer­be­hin­de­rung für sich und / oder ihr Kind zu bean­tra­gen. Hier­für kann es auch gute Grün­de geben. Bei vie­len Erkran­kun­gen, auch bei Dia­be­tes, gibt es häu­fig aber kei­nen GdB von 50 (ja, rich­tig gehört, der Stan­dard-GdB ist – anders als vie­le Ärz­te mei­nen – nicht zwin­gend 50 bei Diabetes).

Aber wie ver­hält es sich dann mit den Merkzeichen?

Bei Dia­be­tes ist bis zum 16. Lebens­jahr regel­haft Hilf­lo­sig­keit (Merk­zei­chen „H“) anzu­neh­men und festzustellen.

Beim Dia­be­tes mel­li­tus ist Hilf­lo­sig­keit bis zur Voll­endung des 16. Lebens­jah­res anzu­neh­men.“ (vgl. Anla­ge zu § 2, Teil A Zif­fer 5 lit. d sub jj VersMedV).

Das bedeu­tet grund­sätz­lich erhal­ten Kin­der und Jugend­li­che mit Dia­be­tes das Merk­zei­chen „H“. Nun stel­len sich die Behör­den teil­wei­se auf den Stand­punkt, Merk­zei­chen könn­ten nur fest­ge­stellt wer­den, wenn ein GdB von min­des­tens 50 fest­ge­stellt wor­den ist. Dies ist aber durch­wach­sen und wird nicht ein­heit­lich beurteilt.

Uns gelang es kürz­lich (dort bei einer Muko­vis­zi­do­se-Pati­en­tin) mit einem GdB von 30 zusätz­lich das Merk­zei­chen „H“ durch­zu­set­zen. Dies war zunächst abge­lehnt wor­den mit der Begrün­dung, es läge kei­ne Schwer­be­hin­de­rung vor (= GdB von min­des­tens 50), so dass das Merk­zei­chen nicht ver­ge­ben wer­den kön­ne. Das hier­ge­gen geführ­te Wider­spruchs­ver­fah­ren ver­lief erfolg­los, auf die von uns erho­be­ne Kla­ge gab die zustän­di­ge Behör­de sodann ein Aner­kennt­nis ab.

Regel­haft zitie­ren die Behör­den hier­zu auch kei­ne gesetz­li­che Norm, das ist fol­ge­rich­tig, denn eine sol­che exis­tiert nicht. Das ver­wun­dert, da alles mög­li­che zur (Schwer-)Behinderung gere­gelt wur­de, nur eben nicht, ob es eines bestimm­ten Min­dest-GdBs darf, um ein Merk­zei­chen fest­zu­stel­len; sicher ist nur, es bedarf einer fest­ge­stell­ten Behin­de­rung für die Aner­ken­nung eines Merkzeichens.

Indes führt die Fest­stel­lung von Merk­zei­chen bei einem GdB < 50 den­noch häu­fi­ger zum Streit.

Gera­de § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG spricht für die Fest­stel­lung von Merk­zei­chen bei einem GdB von unter 50, da dort von „behin­der­ten Men­schen“ gespro­chen wird und nicht von Men­schen mit einem Min­dest-GdB von 50 oder von schwer­be­hin­der­ten Menschen.

§ 33b Pausch­be­trä­ge für behin­der­te Men­schen, Hin­ter­blie­be­ne und Pflegepersonen
[…]
(3) Die Höhe des Pausch­be­trags rich­tet sich nach dem dau­ern­den Grad der Behin­de­rung. Als Pausch­be­trä­ge wer­den gewährt bei einem Grad der Behin­de­rung […] Für behin­der­te Men­schen, die hilf­los im Sin­ne des Absat­zes 6 sind, und für Blin­de erhöht sich der Pausch­be­trag auf 3 700 Euro.
[…]

Behin­dert ist ein Mensch nach der Legal­de­fi­ni­ti­on in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, „wenn ihre kör­per­li­che Funk­ti­on, geis­ti­ge Fähig­keit oder see­li­sche Gesund­heit mit hoher Wahr­schein­lich­keit län­ger als sechs Mona­te von dem für das Lebens­al­ter typi­schen Zustand abwei­chen und daher ihre Teil­ha­be am Leben in der Gesell­schaft beein­träch­tigt ist.“ Auch dort gibt es also kei­nen Anhalt für einen Min­dest-GdB von 50.

Ver­gleich­bar hat es bei­spiels­wei­se das Säch­si­sche Lan­des­so­zi­al­ge­richt (stän­di­ge Recht­spre­chung) entschieden:

Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG in der seit dem 16. Dezem­ber 2004 gel­ten­den Fas­sung ist eine Per­son hilf­los, wenn sie für eine Rei­he von häu­fig und regel­mä­ßig wie­der­keh­ren­den Ver­rich­tun­gen zur Siche­rung ihrer per­sön­li­chen Exis­tenz im Ablauf eines jeden Tages frem­der Hil­fe dau­ernd bedarf. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind auch erfüllt, wenn die Hil­fe in Form einer Über­wa­chung oder einer Anlei­tung zu den in Satz 3 die­ser Vor­schrift genann­ten Ver­rich­tun­gen erfor­der­lich ist oder wenn die Hil­fe zwar nicht dau­ernd geleis­tet wer­den muss, jedoch eine stän­di­ge Bereit­schaft zur Hil­fe­leis­tung erfor­der­lich ist (§ 33b Abs. 6 Satz 4 EStG).

Nicht erfor­der­lich ist das Vor­lie­gen der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft. Nach stän­di­ger Rechts­auf­fas­sung des erken­nen­den Gerichts steht der Fest­stel­lung eines GdB von „ledig­lich“ 30 einer Zuer­ken­nung des Nach­teils­aus­gleichs „H“ grund­sätz­lich nicht ent­ge­gen (vgl. Säch­si­sches LSG, Urteil vom 28. März 2007, Az. L 6 SB 8/06). § 33b EStG stellt hin­sicht­lich der steu­er­recht­li­chen För­de­rung bei der Hilf­lo­sig­keit nicht allein auf das Vor­lie­gen der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft mit einem Min­dest-GdB von 50 (§ 2 Abs. 2 SGB IX) ab. § 33b EStG gewährt eine steu­er­recht­li­che För­de­rung „behin­der­ten Men­schen“. Dabei wird zwi­schen den GdB-Höhen unter­schie­den – GdB von min­des­tens 50 einer­seits und ande­rer­seits GdB von weni­ger als 50, aber min­des­tens 25 bei Vor­lie­gen wei­te­rer Vor­aus­set­zun­gen (§ 33b Abs. 2 EStG) -. Auch § 69 Abs. 4 SGB IX macht die Fest­stel­lung von Nach­teils­aus­glei­chen grund­sätz­lich nicht an dem Sta­tus der Schwer­be­hin­de­rung fest, son­dern an dem Vor­lie­gen einer „Behin­de­rung“.

Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berück­sich­ti­gen­den Ver­rich­tun­gen han­delt es sich um sol­che, die im Ablauf eines jeden Tages unmit­tel­bar zur War­tung, Pfle­ge und Befrie­di­gung wesent­li­cher Bedürf­nis­se des Betrof­fe­nen gehö­ren und somit häu­fig und regel­mä­ßig wie­der­keh­ren. Dazu zäh­len zunächst die auch von der Pfle­ge­ver­si­che­rung (vgl. § 14 Abs. 4 Elf­tes Buch Sozi­al­ge­setz­buch – SGB XI -) erfass­ten Berei­che der Kör­per­pfle­ge [Waschen, Duschen, Baden, Zahn­pfle­ge, Käm­men, Rasie­ren, Darm- und Bla­sen­ent­lee­rung], Ernäh­rung [mund­ge­rech­tes Zube­rei­ten und Auf­nah­me der Nah­rung], Mobi­li­tät [Auf­ste­hen, zu Bett gehen, An- und Aus­klei­den, Gehen, Ste­hen, Trep­pen­stei­gen, Ver­las­sen und Wie­der­auf­su­chen der Woh­nung]). Die­se Berei­che wer­den unter dem Begriff der soge­nann­ten Grund­pfle­ge zusam­men­ge­fasst (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 15 Abs. 3 SGB XI; BSG SozR 4 3250 § 69 Nr. 1). Hin­zu­kom­men nach der Recht­spre­chung des Bun­des­so­zi­al­ge­richts (BSG) Maß­nah­men zur psy­chi­schen Erho­lung, geis­ti­gen Anre­gung und Kom­mu­ni­ka­ti­on (Sehen, Hören, Spre­chen und Fähig­keit zu Inter­ak­tio­nen), wobei vom Begriff der Hilf­lo­sig­keit der Hil­fe­be­darf bei haus­wirt­schaft­li­chen Ver­rich­tun­gen nicht umschlos­sen ist (vgl. BSG a. a. O., BSG SozR 33870 § 4 Nr. 6 und SozR 3 3100 § 35 Nr. 6).

Hin­sicht­lich des Aus­ma­ßes des in § 33b EStG ange­spro­che­nen Hil­fe­be­darfs geht das BSG von fol­gen­den Grund­sät­zen aus (BSG SozR 43250 § 69 Nr. 1): Die tat­be­stand­lich vor­aus­ge­setz­te „Rei­he von Ver­rich­tun­gen“ kön­ne regel­mä­ßig erst dann ange­nom­men wer­den, wenn es sich um min­des­tens drei Ver­rich­tun­gen han­de­le, die einen Hil­fe­be­darf in erheb­li­chem Umfang erfor­der­lich mach­ten. Die Beur­tei­lung der Erheb­lich­keit erklä­re sich an dem Ver­hält­nis, der dem Beschä­dig­ten nur noch mit frem­der Hil­fe mög­li­chen Ver­rich­tung zu denen, die er auch ohne frem­de Hil­fe bewäl­ti­gen kön­ne. In der Regel wer­de dabei auch die Zahl der Ver­rich­tun­gen, den wirt­schaft­li­chen Wert der Hil­fe und den zeit­li­chen Auf­wand abzu­stel­len sein. Sach­ge­recht sei, die Erheb­lich­keit des Hil­fe­be­darfs in ers­ter Linie nach dem täg­li­chen Zeit­auf­wand für erfor­der­li­che Betreu­ungs­leis­tun­gen zu beur­tei­len. Nicht hilf­los sei, wer nur in rela­tiv gerin­gem Umfang, täg­lich etwa eine Stun­de, auf frem­de Hil­fe ange­wie­sen sei. Dar­aus erge­be sich jedoch nicht schon, dass beim Über­schrei­ten der Min­dest­gren­ze in jedem Fall Hilf­lo­sig­keit zu beja­hen sei. Ein täg­li­cher Zeit­auf­wand sei erst dann hin­rei­chend erheb­lich, wenn die­ser min­des­tens zwei Stun­den errei­che. Da die Begrif­fe der Pfle­ge­be­dürf­tig­keit (§§ 14, 15 SGB XI) und der Hilf­lo­sig­keit (vgl. § 35 BVG und § 33b EStG) nicht völ­lig über­ein­stimm­ten, könn­ten im vor­lie­gen­den Zusam­men­hang die zeit­li­chen Grenz­wer­te der sozia­len Pfle­ge­ver­si­che­rung zwar nicht unmit­tel­bar über­nom­men wer­den, sie lie­ßen sich jedoch als gewis­se Ori­en­tie­rungs­punk­te nut­zen. Immer­hin deck­ten sich die von bei­den Begrif­fen erfass­ten Ver­rich­tungs­be­rei­che inso­weit, als das die soge­nann­te Grund­pfle­ge (Kör­per­pfle­ge, Ernäh­rung und Mobi­li­tät) betref­fe. Im Rah­men des § 33b EStG sei zusätz­lich noch der Bereich der geis­ti­gen Anre­gung und Kom­mu­ni­ka­ti­on und – eben­falls anders als grund­sätz­lich in der Pfle­ge­ver­si­che­rung – Anlei­tung und Über­wa­chungs­be­reit­schaft zu berück­sich­ti­gen. Da im Hin­blick auf den inso­weit erwei­ter­ten Maß­stab bei der Prü­fung von Hilf­lo­sig­keit leicht ein grö­ße­rer Zeit­auf­wand für frem­de Betreu­ungs­leis­tung erreicht wer­de als im Bereich der Grund­pfle­ge bei der Pfle­ge­ver­si­che­rung, lie­ge es nah, hier von einer Zwei-Stun­den-Gren­ze aus­zu­ge­hen, was dem Grund­pfle­ge­er­for­der­nis für die Pfle­ge­stu­fe II der Pfle­ge­ver­si­che­rung entspreche.

Bei der Prü­fung der Vor­aus­set­zun­gen für die Fest­stel­lung des Nach­teils­aus­gleichs „H“ sind auch hier die AHP bzw. die Vers­MedV zu berücksichtigen.

Nach Nr. 22 Abs. 1 AHP gehört auch die Anlei­tung zu den o. a. Ver­rich­tun­gen und die För­de­rung der kör­per­li­chen und geis­ti­gen Ent­wick­lung (z. B. durch Anlei­tung im Gebrauch der Glied­ma­ßen und durch Hil­fen zum Erfas­sen der Umwelt und zum Erler­nen der Spra­che) sowie die not­wen­di­ge Über­wa­chung zu den Hil­fe­leis­tun­gen, die für die Fra­ge der Hilf­lo­sig­keit von Bedeu­tung sind (vgl. auch Teil A Nr. 5a der Anla­ge zur Vers­MedV). Es ist nur der Teil der Hilfs­be­dürf­tig­keit zu berück­sich­ti­gen, der wegen der Behin­de­rung den Umfang der Hilfs­be­dürf­tig­keit eines gesun­den gleich­alt­ri­gen Kin­des über­schrei­tet. Der Umfang der wegen der Behin­de­rung not­wen­di­gen zusätz­li­chen Hil­fe­leis­tung muss erheb­lich sein. Bereits im ers­ten Lebens­jahr kön­ne infol­ge der Behin­de­rung Hil­fe­leis­tung in sol­chem Umfan­ge erfor­der­lich sein, dass dadurch die Vor­aus­set­zun­gen für die Annah­me von Hilf­lo­sig­keit erfüllt sind.“ (vgl. Säch­si­sches Lan­des­so­zi­al­ge­richts, Urteil vom 20.09.20106 SB 20/09; Her­vor­he­bun­gen durch den Unterzeichner).

Das Urteil lässt aller­dings offen, ob ein GdB von min­des­tens 25, fak­tisch also von 30, gefor­dert wird. Auf die­se Fra­ge kann es in dem von uns geführ­ten Rechts­streit nicht mehr an und die­se Fra­ge dürf­te auch bei Kin­dern und Jugend­li­chen mit Dia­be­tes kei­ne beson­de­re Rele­vanz auf­wei­sen. Bei Kin­dern und Jugend­li­chen mit Typ‑1 Dia­be­tes dürf­te immer ein GdB von min­des­tens 30, eher min­des­tens 40, gerecht­fer­tigt sein. Bei einem GdB von min­des­tens 50 stellt sich die Pro­ble­ma­tik im Übri­gen auch nicht mehr.

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