Am 18. Mai 2014 hatte ich unter dem Titel Patientenrechtegesetz: Selbstbeschaffung bei nicht fristgemäßer Entscheidung bereits über das Patientenrechtegesetz und die damit verbundenen Entscheidungsfristen der gesetzlichen Krankenkassen geschrieben.
Kern des Patientenrechtegesetzes ist es, dass Krankenkassen über die Anträge der Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln und Medikamenten gemäß § 13 Abs. 3a SGB V innerhalb von 3 Wochen entscheiden müssen. Binden sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in die Entscheidung mit ein, verlängert sich die Frist auf 5 Wochen. Wird die Frist nicht eingehalten, gilt die beantragte Leistung als bewilligt. Es entsteht also ein fiktiver Verwaltungsakt mit dem Inhalt einer antragsgemäßen Bewilligung im beantragten Umfang. Dieser Verwaltungsakt kann nur unter den selben Voraussetzungen aufgehoben werden, unter denen auch ein ausdrücklicher Verwaltungsakt aufgehoben werden könnte.
Gerichtsentscheidung
Das Bundessozialgericht hat hierzu in einem Fall, in dem ein Versicherter die Übernahme einer Psychotherapie beantragt hatte, einige streitige Fragen entschieden. Der Versicherte beantragte am 16.12.2013 die Leistung. Die Krankenkasse beauftragte am 17.12.2013 den MDK mit einer Begutachtung, hierüber wurde der Versicherte nicht informiert. Am 27.01.2014 lehnte die Krankenkasse die Übernahme der Kosten der Therapie ab (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 2).
Wichtig ist es, darauf zu achten, dass der Antrag hinreichend bestimmt ist. Nur dann macht auch eine Genehmigungsfiktion Sinn. Hinreichend bestimmt ist der Antrag, wenn ein Dritter sicher sagen kann, was beantragt wird und die Krankenkasse buchstäblich nur „Ja“-sagen muss. Sofern der Antrag erst ausgestaltet werden muss, kann eine Genehmigungsfiktion nicht einsetzen, denn dann weiß keiner wer welche Verpflichtung zu erfüllen hat (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 23).
„Der Kläger beantragte hinreichend bestimmt die Gewährung einer Psychotherapie als Langzeittherapie im Umfang von 25 Sitzungen. Damit die Leistung im Rechtssinne nach Ablauf der Frist als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Entsprechend den allgemeinen, in § 42a VwVfG […] normierten Grundsätzen […] gilt „eine beantragte Genehmigung ( ) nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt ( ), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist“. Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen […]. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist […]“ (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 23; Auslassungen durch den Autor).
Das BSG entschied einerseits, dass vorliegend nicht die 5‑wöchige Frist anzuwenden war, sondern die 3‑wöchige Frist, da die Krankenkasse den Versicherten nicht rechtzeitig – d. h. innerhalb der 3‑wöchigen Frist – über die Beauftragung des MDK informierte.
„Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen (§ 13 Abs 3a S 1 SGB V), ohne dem Kläger hinreichende Gründe für die Überschreitung der Frist mitzuteilen: Sie teilte ihm keinerlei Gründe mit. Die Frist von drei Wochen ist maßgeblich, weil die Beklagte den Kläger nicht über die Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme unterrichtete (vgl zur Pflicht § 13 Abs 3a S 2 SGB V). Ohne diese gebotene Information kann der Leistungsberechtigte nach Ablauf von drei Wochen annehmen, dass sein Antrag als genehmigt gilt […]. Die Frist begann am Dienstag, dem 17.12.2013 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm § 187 Abs 1 BGB). Nach den bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) ging der Antrag des Klägers am 16.12.2013 der Beklagten zu. Die Frist endete am Montag, dem 6.1.2014 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 BGB). Die Beklagte entschied erst später, am 27.1.2014, über den Antrag des Klägers“ (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 28; Auslassungen und Hervorhebungen durch den Autor).
Darüber hinaus nahm das BSG dazu Stellung, wie lange eine solche fiktive Genehmigung wirksam bleibt. Nämlich solange, wie auch ein ausdrücklicher Verwaltungsakt wirksam bliebe. Ein solcher kann – soweit die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen (begünstigender Verwaltungsakt) – zurückgenommen oder widerrufen werden oder durch Zeitablauf enden. Letzteres ist der Fall, wenn eine befristete Übernahme beantragt wird oder aber eine Heilung eintritt.
„Auch eine fingierte Genehmigung – wie jene des Klägers – bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl § 39 Abs 2 SGB X; […]). So kann etwa – für den Versicherten erkennbar – eine „Erledigung auf andere Weise“ einer fingierten Genehmigung einer beantragten Krankenbehandlung eintreten, wenn die ursprünglich behandlungsbedürftige Krankheit nach ärztlicher, dem Betroffenen bekannter Einschätzung vollständig geheilt ist: Es verbleibt durch diese Änderung der Sachlage für die getroffene Regelung kein Anwendungsbereich mehr. Sie kann nach ihrem Inhalt und Zweck keine Geltung für den Fall derart veränderter Umstände beanspruchen. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht […]. In diesem Sinne ist die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Geänderte Umstände, die die Genehmigung im Zeitpunkt der Beschaffung entfallen ließen, hat indes weder das LSG festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich“ (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 31; Auslassungen und Hervorhebungen durch den Autor).
Denklogisch, auch wenn die Krankenkassen das immer anders sehen, ändert auch eine verspätete Ablehnung des Antrages des Versicherten nichts an der Genehmigungsfiktion. Denn wenn die Überschreitung der Frist durch eine (verspätete) Ablehnung des Antrages ungeschehen gemacht werden könnte, dann wäre das Gesetz vollkommen wirkungslos.
„Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, der Kläger sei deshalb nicht „schutzbedürftig“, weil ihm vor Selbstverschaffung der genehmigten Therapiemaßnahmen die ablehnende Entscheidung der Beklagten zugegangen und seine Therapeutin Kenntnis vom Begutachtungsergebnis erlangt habe. Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert. Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§ 13 Abs 3a SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Die spätere Mitteilung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und die Information der Therapeutin über das Gutachten lassen die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion unberührt; die Ablehnung der Leistung regelt weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme oder den Widerruf der fingierten Genehmigung (vgl hierzu §§ 45, 47 SGB X)“ (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 32; Auslassungen und Hervorhebungen durch den Autor).
Tipp
Es sollte immer genau nachgehalten werden, wann der Antrag bei der Krankenversicherung eingeht. Daher sollte gegenenfalls ein Faxprotokoll aufgehoben werden oder besser: Man wirft den Brief mit einem Zeugen bei einer örtlichen Geschäftsstelle ein. Dafür ließt der Zeuge kurz vor dem Einwerfen zunächst den Brief und sieht dann zu, wie dieser in den Briefkasten eingeworfen wird. Danach wird Datum und Uhrzeit sowie Inhalt und die Tatsache, dass es der Briefkasten der Krankenkasse war, dokumentiert. Das nimmt man zu den Akten.
Darüber hinaus sollte – wenn die Leistung dauerhaft benötigt wird – grundsätzlich eine unbefristete Übernahme des Hilfsmittels beantragt werden. Ggf. kann hilfsweise auch eine beschränkte Übernahme beantragt werden, wenn das üblicher ist, wobei dies nicht zwingend erforderlich ist.
Ein solcher Antrag könnte lauten:
1.) Ich beantrage die dauerhafte Versorgung mit dem Hilfsmittel [Hilfsmittel, bitte genau beschreiben mit genauem Modell, etc.] nebst Verbrauchsmaterialien, abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung,
2.) hilfsweise beantrage ich die Versorgung mit dem Hilfsmittel [Hilfsmittel, bitte genau beschreiben mit genauem Modell, etc.] nebst Verbrauchsmaterialien, abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung, [für einen Zeitraum von sechs Monaten].
Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.