Vor kurzem hatte ich darüber geschrieben, dass ihr ab 01. Januar 2014 für eine Behandlung und Abrechnung über die gesetzliche Krankenversicherung eine neue elektronische Gesundheitskarte (E‑GK) werdet vorlegen müssen. Über die alte Krankenversicherungskarte kann der behandelnde Arzt dann nicht mehr abrechnen, mit der Folge, dass ihr ggf. die Privattarife bezahlen müsstet. Mehr Informationen hier. So langsam werden auch die obligatorischen Eilverfahren gegen die neue Technik entschieden.
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So hatte das Sozialgericht (SG) Berlin kürzlich über die Rechtmäßigkeit der E‑GK zu entscheiden. Ein Mann, der in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist und dessen Versicherungskarte im September 2013 abgelaufen ist hatte beantragt seine Krankenkasse im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dazu zu verpflichten ihm eine normale Versicherungskarte, bzw. einen allgemeinen Berechtigungsschein auszustellen. Vorher hatte er vergeblich entsprechende Anträge bei seiner Versicherung gestellt, die auf Ausstellung einer E‑GK beharrte. Er hält die Regelungen zur E‑GK für verfassungswidrig, da in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen werde.
Das SG Berlin wies den Antrag, der im einstweiligen Verfügungsverfahren gestellt wurde, zurück:
[…] Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines anderweitigen Versicherungs- bzw. Mitgliednachweises. Er kann nicht von der Nutzung der eGK befreit werden. Eine derartige Befreiung ergibt sich weder aus einfachem Gesetz noch aus Verfassungsrecht. aa. § 15 Abs. 2 SGB V bestimmt, dass Versicherte, die ärztliche oder zahnärztliche Behandlung in Anspruch nehmen möchten, dem Arzt (Zahnarzt) vor Beginn der Behandlung ihre Krankenversichertenkarte zum Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen aushändigen. Mit der Regelung des § 15 Abs. 2 SGB V wird die Inanspruchnahme von Leistungen, für die die gesetzliche Krankenversicherung zuständig ist, erleichtert, da der Versicherte Leistungen erlangen kann, ohne in jedem Einzelfall vorab einen Antrag auf Bewilligung von Krankenversicherungsleistungen stellen zu müssen und die Bewilligung durch die gesetzliche Krankenversicherung abwarten zu müssen. Um dieses Ziel verwirklichen zu können, bedurfte es bisher der Ausgabe der Krankenversicherungskarte, welche die in § 291 Abs. 2 SGB V genannten Daten enthalten musste. Die bisher gültige Krankenversicherungskarte enthält gemäß § 291 Abs. 2 SGB V neben der Unterschrift und – soweit schon ausgestellt – einem Lichtbild des Versicherten: 1. die Bezeichnung der ausstellenden Krankenkasse, einschließlich eines Kennzeichens für die Kassenärztliche Vereinigung, in deren Bezirk das Mitglied seinen Wohnsitz hat, 2. den Familiennamen und Vornamen des Versicherten, 3. das Geburtsdatum, 4. das Geschlecht, 5. die Anschrift, 6. die Krankenversichertennummer, 7. den Versichertenstatus, 8. den Zuzahlungsstatus, 9. den Tag des Beginns des Versicherungsschutzes und 10. bei befristeter Gültigkeit der Karte das Datum des Fristablaufs. Gemäß § 291 Abs. 2a sowie § 291a Abs. 1 SGB V wird die Krankenversicherungskarte zur eGK erweitert. Gemäß § 291 a Abs. 2 Satz 1 SGB V hat die eGK – wie die bisherige Krankenversicherungskarte – die Angaben nach § 291 Abs. 2 SGB V zu enthalten zu enthalten. Aus der Formulierung „hat zu enthalten“ ergibt sich, dass es sich um Informationen handelt, die für die eGK benötigt werden und die vom Kläger anzugeben sind (Lichtbild, Unterschrift des Klägers und die in § 291 Abs. 2 SGB V Nr. 1 bis 10 genannten Informationen). Bei der Erweiterung der Krankenversicherungskarte zur eGK ändert sich nichts an dem Umfang der Daten, die zwingend auf der eGK enthalten sein müssen (vgl. auch SG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2012 – S 9 KR 111/09 –, juris). Die eGK tritt rechtlich und funktionell an die Stelle der Krankenversicherungskarte. bb. Der Antragsteller ist nach § 15 Abs. 2 SGB V verpflichtet, zum Nachweis seines Versicherungsschutzes bis zum 31. Dezember 2013 die Krankenversicherungskarte und ab 1. Januar 2014 die eGK zu nutzen. Eine Befreiungsmöglichkeit sieht § 15 Abs. 2 SGB V nicht vor. Mit der Nutzungspflicht korrespondiert ein Verweigerungsrecht der Antragsgegnerin, dem Antragsteller einen anderen Berechtigungsnachweis auszustellen. Die in § 15 Abs. 2 SGB V statuierte Nutzungspflicht beschränkt zwar die allgemeine Handlungsfreiheit des Antragstellers. Diese Beschränkung ist jedoch gerechtfertigt durch das Interesse der Solidargemeinschaft (§ 1 SGB V) an einer einheitlichen und effektiven Zusammenarbeit von Versichertem, Krankenkasse und Leistungserbringern und einer wirtschaftlichen Abrechnung der Behandlungskosten. Gemäß § 15 Abs. 3 SGB V ist lediglich für die Inanspruchnahme anderer Leistungen (als den in Abs. 2 genannten Behandlungen bei Ärzten und Zahnärzten) vorgesehen, dass die Krankenkasse den Versicherten Berechtigungsscheine ausstellt, soweit es zweckmäßig ist. […] Die Anforderung dieser Daten zur Erstellung der eGK ist rechtmäßig, sie dient einem nachvollziehbaren Zweck und einem überwiegenden Interesse. aa. Die Prüfung der Personaldaten dient der Identifizierung, der unverzögerten Kommunikation mit dem Versicherten und der Identitätskontrolle. Die Übermittlung eines Lichtbildes des Versicherten ist notwendig, um dieses auf der Karte darzustellen. Nur dies ermöglicht in Verbindung mit den Personaldaten und der Unterschrift des Versicherten eine eindeutige Zuordnung der Krankenversichertenkarte zum jeweiligen Karteninhaber und verhindert Missbrauch zulasten der Versichertengemeinschaft (so auch die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drs 15/1525, S. 143). Nur bei Versicherten, deren Mitwirkung bei der Erstellung des Lichtbildes nicht möglich ist, sieht das Gesetz eine Versichertenkarte ohne Lichtbild vor (vgl. § 290 Abs. 2 Satz 1, letzter Halbsatz SGB V). Anhaltspunkte für eine fehlende Mitwirkungsmöglichkeit des Antragstellers liegen nicht vor. Der Versicherte hat es in der Hand, die Karte mit seinem Bild nur gegenüber Berechtigten (z.B. Ärzten, Zahnärzten, Apothekern) zu verwenden. Der Verwendung des auf der Karte dargestellten Bildes gegenüber den Berechtigten steht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht entgegen. Denn das Lichtbild ist nicht in elektronischer Form auf der eGK gespeichert, sondern zur visuellen Identifizierung aufgedruckt. Aus diesem Grund bestehen auch keine Bedenken gegen die Darstellung der Unterschrift des Versicherten auf der Karte. bb. Das Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung ist dadurch nicht verletzt. Die vom Versicherten nach § 291 Abs. 2 und § 291a Abs. 2 SGB V zwingend zu gebenden Informationen sind Sozialdaten, die dem Schutz des Sozialgeheimnisses (vgl. hierzu § 35 Abs. 1 SGB I, § 67 SGB X) und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 1 Abs. 1 GG unterliegen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stellt darauf ab, dass sich aus dem Gedanken der Selbstbestimmung die Befugnis des Einzelnen ableitet, grundsätzlich selbst zu bestimmen, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Denn wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden (vgl. Urteil des BVerfG vom 15. Dezember 1983, BVerfGE 65, 1, 42 – Volkszählungsurteil). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. Urteil des BVerfG vom 15. Dezember 1983 , a.a.O., und Beschluss vom 11. Juni 1991, BVerfGE 84, 192, 194). Der mit der Darstellung des Lichtbildes, der Unterschrift und den Angaben nach § 291 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 SGB V verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist gerechtfertigt. Der Kläger muss die damit verbundenen Einschränkungen seines informationellen Selbstbestimmungsrechts hinnehmen. Denn jeder Einzelne muss – als eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit – Einschränkungen bei überwiegendem Allgemeininteresse hinnehmen (vgl. hierzu Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 13. Februar 2006 – 1 BvR 1184/04 – juris, dort Rn. 65, zur Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Einfügung der elektronischen Gesundheitskarte). […]
Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 7. November 2013, Az.: S 81 KR 2176/13 ER
Das Sozialgericht hat zwar die Eilbedürftigkeit für den Kläger bejaht, allerdings ist das SG Berlin der Ansicht, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Ausstellung einer herkömmlichen Versicherungskarte hat. Die neue E‑GK hat vorerst nur dieselben Informationen wie die alte Versicherungskarte auch. Hinzu kommt lediglich ein Foto, diese zusätzliche Beschränkung der Rechte des Antragstellers hält das SG Berlin vor dem Hintergrund der Finanzierung des Gesundheitswesens und der Notwendigkeit der Möglichkeit sich auszuweisen, für gerechtfertigt. Die weiteren zukünftigen Zusatzfunktionen der Karte sind zum einen noch Zukunft und damit zumindest derzeit nicht justiziabel und zum anderen sind diese auf Freiwilligkeit angelegt, d. h. der Antragsteller kann ohnehin nicht zu den weiteren Funktionen der E‑GK gezwungen werden.
Gegen die Entscheidung gibt es das Rechtsmittel der Beschwerde zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg.
Was ist eine einstweilige Anordnung?
Eine einstweilige Anordnung dient dem schnellen Rechtsschutzbedürfnis in Eilfällen, wenn eine lange Wartezeit für eine Entscheidung im Urteilsverfahren nicht zumutbar ist. Allerdings darf die Hauptsacheentscheidung nicht vorweggenommen werden, dafür kann eine solche Entscheidung im besten Falle innerhalb weniger Tage ergehen. Daher kann eine einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss der Anragssteller einen Anordnungsanspruch haben ein Anordnungsanspruch liegt dann vor, wenn der Antragsteller glaubhaft machen kann, dass ihm das geltend gemachte Recht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit auch zusteht, also ein Obsiegen in der Hauptsache wesentlich wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen in der Hauptsache. Daneben muss es für diese Verfahrenart aber auch einen Anordnungsgrund geben, dieser liegt dann vor, wenn die Sache eilbedürftig ist. Dem Antragsteller müsste daher die Durchsetzung seiner Rechte vereiltelt oder zumindest wesentlich erschwert werden, wenn er auf den herkömmlichen Klageweg verwiesen würde. Die Entscheidung, die dann ergeht regelt den Streitgegenstand dann nur vorläufig, um den Anspruch zu sichern (Sicherungsanordnung) oder die Sache zu regeln, um schwerwiegende Nachteile abzuwehren (Regelungsanordnung). In der Hauptsache muss dann Klage erhoben werden, wenn dies nicht ohnehin schon erfolgt ist.
Das Gericht ist in der Hauptsache aber selbstverständlich nicht verpflichtet, die Entscheidung aufrecht zu erhalten, sondern könnte auch für den Antragsteller entscheiden.
Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.