Gleich­stel­lung mit Schwer­be­hin­der­ten für den beruf­li­chen Aufstieg

Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG, Urteil vom 06.08.201411 AL 5/14 R) hat kürz­lich ent­schie­den, dass Men­schen mit einer Behin­de­rung, deren Grad der Behin­de­rung 30 oder 40 beträgt (das betrifft u. a. vie­le Men­schen mit Dia­be­tes), sich auch dann mit einem schwer­be­hin­der­ten gleich­stel­len las­sen kön­nen, wenn dies den beruf­li­chen Auf­stieg fördert.

Vor­wis­sen: Gleichstellung

Gemäß § 2 Abs. 3 Neun­tes Buch Sozi­al­ge­setz­buch (SGB IX) kön­nen sich Men­schen mit einer Behin­de­rung, bei denen ein Grad der Behin­de­rung von 30 oder 40 fest­ge­stellt wor­den ist und die infol­ge ihrer Behin­de­rung ohne die Gleich­stel­lung einen geeig­ne­ten Arbeits­platz nicht erlan­gen oder nicht behal­ten kön­nen einem schwer­be­hin­der­ten Men­schen arbeits­recht­lich gleich­ge­stellt. Der Antrag ist gemä0 § 104 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX bei der Bun­des­agen­tur für Arbeit zu stel­len; der Arbeit­ge­ber wird – sofern der behin­der­te Mensch in einem Arbeits­ver­hält­nis steht – über den Antrag informiert.

Recht­lich geklärt ist, dass die Vor­aus­set­zun­gen für die arbeits­recht­li­che Gleich­stel­lung vor­lie­gen, wenn der behin­der­te Arbeit­neh­mer einen unsi­che­ren Arbeits­platz hat. Die arbeits­recht­li­che Gleich­stel­lung bewirkt dann, dass der Arbeit­ge­ber nicht ohne Zustim­mung der zustän­di­gen Inte­gra­ti­ons­be­hör­de kün­di­gen kann (§ 85 SGB IX in Ver­bin­dung mit § 68 Abs. 3 SGB IX).

Umstrit­ten war die Fra­ge, ab wann ein behin­der­ter Arbeit­neh­mer einen geeig­ne­ten Arbeits­platz nicht errei­chen kann.

Sachverhalt

In dem vom Bun­des­so­zi­al­ge­richt ent­schie­de­nen Fall war eine weib­li­che Arbeit­neh­me­rin, bei der ein Grad der Behin­de­rung von 30 fest­ge­stellt war, als Jus­tiz­fach­an­ge­stell­te bei der Jus­tiz­ver­wal­tung der Stadt Ham­burg im mitt­le­ren Dienst beschäf­tigt. Sie bewarb sich um einen Aus­bil­dungs­platz bei der Finanz­ver­wal­tung als Diplom-Finanz­wir­tin (geho­be­ner Dienst). Zunächst erhielt sie eine Zusa­ge, muss­te dann jedoch zu einer Ein­stel­lungs­un­ter­su­chung, da sie bereits für die Aus­bil­dung in ein Beam­ten­ver­hält­nis auf Wider­ruf hät­te über­nom­men wer­den müs­sen. In ein Beam­ten­ver­hält­nis wer­den sol­che Per­so­nen nicht über­nom­men, die mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit nicht bis zum erwar­te­ten Pen­si­ons­be­ginn dienst­fä­hig sind. Aus die­sem Grund wird vor der Über­nah­me in ein Beam­ten­ver­hält­nis bei allen Bewer­bern eine ärzt­li­che Über­prü­fung durch einen Amts­arzt des zustän­di­gen Gesund­heits­am­tes durch­ge­führt. Die­se Unter­su­chung ergab, dass der Amts­arzt Zwei­fel an der Dienst­fä­hig­keit auf Dau­er hatte.

Die Bewer­be­rin bean­trag­te dar­auf­hin bei der Bun­des­agen­tur für Arbeit eine Gleich­stel­lung mit einem schwer­be­hin­der­ten Men­schen, da dies in Ham­burg (wie in den meis­ten ande­ren Bun­des­län­dern auch) dazu führt, dass sich der Bewer­tungs­maß­stab der Dienst­fä­hig­keit ver­schiebt (sie­he auch Blog­ein­trag Gleich­stel­lung einer Behin­de­rung mit einer Schwer­be­hin­de­rung zur Ver­be­am­tung?). Es wird dann nicht mehr die Dienst­fä­hig­keit bis zum erwar­te­ten Pen­si­ons­ein­tritt geprüft, son­dern – abhän­gig vom Bun­des­land – eine Dienst­fä­hig­keit von bis zu 10 Jah­ren zugrun­de gelegt. Sie begrün­de­te den Antrag damit, dass sie dann in ein Beam­ten­ver­hält­nis im geho­be­nen Dienst über­nom­men wer­den könn­te. Die Bun­des­agen­tur für Arbeit lehn­te ihren Antrag mit der Begrün­dung ab, dass sie bereits einen siche­ren Arbeits­platz habe (was unbe­strit­ten war) und damit die Vor­aus­set­zun­gen einer Gleich­stel­lung nicht vorlägen.

Entscheidung

Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG, Urteil vom 06.08.201411 AL 5/14 R) hat nun die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen bestä­tigt und ent­schie­den, dass die Ableh­nung der Gleich­stel­lung mit einem schwer­be­hin­der­ten Men­schen rechts­wid­rig war.

23 Die Tat­sa­che, dass die Klä­ge­rin einen geeig­ne­ten Arbeits­platz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleich­stel­lung zur Erlan­gung eines (ande­ren) Arbeits­plat­zes nicht ent­ge­gen. Zwar bedarf die Klä­ge­rin kei­ner Gleich­stel­lung, um ihren bis­he­ri­gen Arbeits­platz behal­ten zu kön­nen. Das Behal­ten des Arbeits­plat­zes will sie mit die­sem Rechts­streit auch nicht errei­chen. Sie möch­te viel­mehr (nur) einen neu­en Arbeits­platz erlan­gen. Hier­auf hat sie ihr Begeh­ren in zuläs­si­ger Wei­se beschränkt (BSG Urteil vom 1.3.20117 AL 6/10 RBSGE 108, 4 = SozR 43250 § 2 Nr 4). Die Alter­na­ti­ve 1 des § 2 Abs 3 SGB IX setzt aber schon sei­nem Wort­laut nach nur vor­aus, dass der behin­der­te Mensch ohne Gleich­stel­lung einen Arbeits­platz nicht erlan­gen kann. Die Vor­schrift hat nicht zur wei­te­ren Vor­aus­set­zung, dass ein Antrag­stel­ler ohne Gleich­stel­lung kei­nen geeig­ne­ten Arbeits­platz innehat.

24 Das Recht auf Gleich­stel­lung zur Erlan­gung eines Arbeits­plat­zes haben nicht nur arbeits­lo­se behin­der­te Men­schen, son­dern auch behin­der­te Men­schen, die sich beruf­lich ver­än­dern wol­len. Denn ein dis­kri­mi­nie­rungs­frei­er Zustand ist nach Art 21 und Art 26 EUGrdRCh nicht bereits dann her­ge­stellt, wenn ein behin­der­ter Mensch in irgend­ei­ner Wei­se eine Tätig­keit aus­üben kann, die regel­mä­ßig im Beam­ten­ver­hält­nis aus­ge­übt wird; viel­mehr müs­sen Gesetz­ge­ber und Dienst­herr die Vor­aus­set­zun­gen zum Zugang zum Beam­ten­ver­hält­nis in der Wei­se modi­fi­zie­ren, dass ein dis­kri­mi­nie­rungs­frei­er Zugang zur Aus­übung der ent­spre­chen­den Tätig­keit gera­de im Beam­ten­ver­hält­nis ermög­licht wird (vgl OVG Nie­der­sach­sen Urteil vom 25.1.20115 LC 190/09 – Juris; Hes­si­sches LSG Urteil vom 19.6.20136 AL 116/12 – Juris).

[…]

31 Ob die Klä­ge­rin ohne Aner­ken­nung einer Gleich­stel­lung die Ein­stel­lungs­an­for­de­run­gen für Arbeits­plät­ze von Beam­ten im geho­be­nen Dienst erfüllt, wie sie das BVerwG for­mu­liert hat (BVerwG Urteil vom 25.7.20132 C 12/11BVerw­GE 147, 244), erscheint frag­lich. Die Ent­schei­dung hier­über obliegt nicht dem Senat, son­dern ist von den Gerich­ten der Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit in deren Zustän­dig­keit zu tref­fen. Bis­lang hat die Klä­ge­rin eine posi­ti­ve Ent­schei­dung über ihre Ein­stel­lung jeden­falls nicht erlangt.

32 Nach aktu­el­lem Sach­stand hat die Klä­ge­rin infol­ge der Behin­de­rung einen Wett­be­werbs­nach­teil; denn sie kann auf­grund ihrer Behin­de­rung den ange­streb­ten Arbeits­platz nicht erlan­gen. Die­ser Nach­teil kann durch die Gleich­stel­lung aus­ge­gli­chen wer­den; denn das LSG hat fest­ge­stellt, dass die Klä­ge­rin einen geeig­ne­ten Arbeits­platz erlan­gen möch­te und die­sen (bis­her) „infol­ge“ ihrer Behin­de­rung nicht erlan­gen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleich­stel­lung zu beja­hen“ (vgl. BSG, Urteil vom 06.08.201411 AL 5/14 R).

Das Urteil ist rechts­kräf­tig.

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