Als Schwer­be­hin­der­ter durch einen Eig­nungs­test gefal­len? Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­ge­spräch wei­ter­hin erforderlich!

Wird eine Stel­le in einem Unter­neh­men aus­ge­schrie­ben, dann sind Schwer­be­hin­der­te, die sich auf die Stel­le bewer­ben und vom Grund­satz her die Aus­schrei­bungs­kri­te­ri­en erfül­len, immer zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­zu­la­den. Wer­den schwer­be­hin­der­te Bewer­ber nicht zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den, begrün­det dies eine Ver­mu­tung, dass die­se Bewer­ber dis­kri­mi­niert wur­den. Dies gilt ins­be­son­de­re für die öffent­li­che Hand und Unter­neh­men in öffent­li­cher Trä­ger­schaft. Sofern ein schwer­be­hin­der­ter Bewer­ber durch den Eig­nungs­test fällt, führt das nicht dazu, dass er „offen­sicht­lich unge­eig­net“ für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ist. Des­we­gen muss er wei­ter­hin zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den wer­den (vgl. LAG Schles­wig-Hol­stein, Urteil vom 09.09.20153 Sa 36/15).

Zum Urteil

Ein schwer­be­hin­der­ter Mensch (mit einem Grad der Behin­de­rung (= GdB) von 70) hat sich auf eine Stel­len­aus­schrei­bung eines Unter­neh­mens in öffent­li­cher Trä­ger­schaft bewor­ben. Die Stel­len­aus­schrei­bung lau­te­te in Tei­len wie folgt:

Vor­aus­set­zung: Min­des­tens voll­wer­ti­ge Fachhochschulreife.

Den voll­stän­di­gen Aus­schrei­bungs­text mit aus­führ­li­chen Infor­ma­tio­nen zu den Anfor­de­run­gen erhal­ten Sie über das Inter­net unter .…

Infos zum Auswahlverfahren:
Das Aus­wahl­ver­fah­ren beginnt mit einem Eig­nungs­test. Die­ser ist in zwei Prü­fungs­tei­le geglie­dert. Im wei­te­ren Aus­wahl­ver­fah­ren wer­den sich dann noch münd­li­che und prak­ti­sche Tei­le anschlie­ßen. Bit­te beach­ten Sie, dass jeder Teil des Aus­wahl­ver­fah­rens das erfolg­rei­che Absol­vie­ren des vor­an­ge­gan­ge­nen Test­teils voraussetzt.

Sei­ner Bewer­bung füg­te der Bewer­ber die übli­chen Bewer­bungs­un­ter­la­gen und eine Kopie sei­nes Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses bei. Er wur­de dar­auf­hin zu einem Eigungs­test ein­ge­la­den, den er rund einen Monat nach sei­ner Bewer­bung anfer­tig­te. Als Nach­teils­aus­gleich wur­de ihm wegen sei­ner Behin­de­rung mehr Zeit sowie ein extra Raum zur Anfer­ti­gung des Tests ein­ge­räumt. In dem Test schnitt der Bewer­ber schlecht ab und ist durch­ge­fal­len. Er erhielt des­we­gen nach der Bewer­tung des Tests eine Absa­ge und wur­de nicht zu einem wei­te­ren Vor­stel­lungs­ge­spräch eingeladen.

Der Bewer­ber fühl­te sich hier­durch wegen sei­ner Behin­de­rung dis­kri­mi­niert und ver­lang­te eine Ent­schä­di­gung in Höhe von drei Monats­ge­häl­tern. Dies lehn­te das Unter­neh­men ab. Der Bewer­ber erhob dar­auf­hin Zah­lungs­kla­ge beim Arbeits­ge­richt und behaup­te­te er sei dis­kri­mi­niert wor­den, weil er ent­ge­gen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den wur­de. Das beklag­te Unter­neh­men ver­trat dem­ge­gen­über die Rechts­auf­fas­sung, dass eine Ein­la­dung zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch nicht erfor­der­lich gewe­sen sei, da der schwer­be­hin­der­te Bewer­ber wegen des schlech­ten Ergeb­nis­ses im Eig­nungs­test offen­sicht­lich unge­eig­net gewe­sen sei.

Das Arbeits­ge­richt Flens­burg hat das Unter­neh­men zu einer Ent­schä­di­gungs­zah­lung in Höhe von zwei Monats­ge­häl­tern ver­ur­teilt (ArbG Flens­burg, Urteil vom 04.12.20142 Ca 624/14). Hier­ge­gen hat das Unter­neh­men Beru­fung ein­ge­legt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein hat die Beru­fung zurück­ge­wie­sen (LAG Schles­wig-Hol­stein, Urteil vom 09.09.2015 – 3 Sa 36/15).

Die Gerich­te gin­gen davon aus, dass eine Ein­la­dung des schwer­be­hin­der­ten Bewer­bers zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch wegen § 82 Satz 2 SGB IX erfor­der­lich gewe­sen wäre, obwohl die­ser zuvor durch den Aus­wahl­test gefal­len ist. Des­we­gen sei eine Dis­kri­mi­nie­rung wegen § 22 AGG indi­ziert; § 22 AGG führt zu einer Beweis­last­um­kehr zu Las­ten des Unter­neh­mens. Die­ses muss dann grund­sätz­lich nach­wei­sen, bei der Aus­wahl nicht dis­kri­mi­niert zu haben, wenn es objek­ti­ve Anhalts­punk­te für eine sol­che Dis­kri­mi­nie­rung gibt. Das Unter­neh­men hät­te nach­wei­sen kön­nen und müs­sen, dass es den schwer­be­hin­der­ten Bewer­ber nicht dis­kri­mi­niert hat. Dies gelang dem Unter­neh­men nicht.

Das LAG Schles­wig-Hol­stein begrün­det dies wie folgt:

Nach § 82 Satz 2 SGB IX hat der öffent­li­che Arbeit­ge­ber den sich bewer­ben­den schwer­be­hin­der­ten Men­schen zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­zu­la­den. Die­se Pflicht besteht nur dann nicht, wenn dem schwer­be­hin­der­ten Men­schen die fach­li­che Eig­nung offen­sicht­lich fehlt. Das bedeu­tet, dass der öffent­li­che Arbeit­ge­ber einem schwer­be­hin­der­ten Bewer­ber die Chan­ce eines Vor­stel­lungs­ge­sprä­ches gewäh­ren muss, wenn sei­ne fach­li­che Eig­nung zwar zwei­fel­haft ist, aber nicht offen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist. Der schwer­be­hin­der­te Bewer­ber soll im Rah­men des Vor­stel­lungs­ge­sprä­ches die Chan­ce haben, den Arbeit­ge­ber von sei­ner Eig­nung zu über­zeu­gen (BAG vom 12.09.20069 AZR 807/05 – Rz. 24). Inso­weit han­delt es sich um eine gesetz­lich ange­ord­ne­te Bes­ser­stel­lung (BVerwG vom 03.03.20115 C 16/10 Rz. 18).

Die Beklag­te hat den Klä­ger jedoch nicht zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den. Das ist ein klas­si­sches Indiz für eine Benach­tei­li­gung. Damit greift die Beweis­last­re­ge­lung des § 22 AGG. Der Arbeit­ge­ber trägt die Dar­le­gungs- und Beweis­last dafür, dass nicht auf die Behin­de­rung bezo­ge­ne, sach­li­che Grün­de eine unter­schied­li­che Behand­lung recht­fer­ti­gen. Die Beklag­te beruft sich ohne Erfolg dar­auf, sie habe den Klä­ger nicht zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­la­den müs­sen, weil er offen­sicht­lich nicht geeig­net gewe­sen sei, da er schon den ers­ten Teil des Eig­nungs­tes­tes nicht bestan­den habe.

Ent­ge­gen der Ansicht der Beklag­ten fehl­te dem Klä­ger nicht offen­sicht­lich die fach­li­che Eig­nung für die zu beset­zen­de Stel­le im Sin­ne des § 82 Satz 2 SGB IX. Ob dies der Fall ist, ist anhand eines Ver­gleichs zwi­schen dem Anfor­de­rungs­pro­fil die­ser Stel­le und dem Leis­tungs­pro­fil der Bewer­be­rin oder des Bewer­bers zu ermit­teln (BAG vom 21.07.20099 AZR 431/08; BAG vom 16.02.2012, – 8 AZR 697/10 – Rz. 36). Mit der Bestim­mung des Anfor­de­rungs­pro­fils für die zu ver­ge­ben­de Stel­le legt der Dienst­herr die Kri­te­ri­en für die Aus­wahl der Bewer­ber fest; an ihm wer­den die Eigen­schaf­ten und Fähig­kei­ten der Bewer­ber gemes­sen (BVerfG v. 08.10.20072 BvR 1846/07; BAG vom 16.02.2012, 8 AZR 697/10 – Rz. 38m.w. N.; BVerwG vom 20.06.20132 VR 1/13 – Rz. 27 m.w.N.). Der öffent­li­che Arbeit­ge­ber hat im Anfor­de­rungs­pro­fil die for­ma­len Vor­aus­set­zun­gen, fach­li­chen Kennt­nis­se und Fähig- kei­ten sowie die außer­fach­li­chen Kom­pe­ten­zen zu beschrei­ben, die für eine erfolg- rei­che Bewer­bung benö­tigt wer­den (BVerwG vom 3.3.20115 C 16/10 – Rz. 21 m.w.N.). Das Anfor­de­rungs­pro­fil ist aus­schließ­lich nach objek­ti­ven Kri­te­ri­en anzu­fer­ti­gen. Mit der Fest­le­gung des Anfor­de­rungs­pro­fils wird ein wesent­li­cher Teil der Aus­wahl­ent­schei­dung vor­weg­ge­nom­men. Zugleich bestimmt der öffent­li­che Arbeit­ge­ber mit der Fest­le­gung des Anfor­de­rungs­pro­fils den Umfang sei­ner der eigent­li­chen Aus­wahl­ent­schei­dung vor­ge­la­ger­ten ver­fah­rens­recht­li­chen Ver­pflich­tung nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX. Denn schwer­be­hin­der­te Men­schen, die nach den schrift­li­chen Bewer­bungs­un­ter­la­gen eine ihrer­seits dis­kri­mi­nie­rungs­frei bestimm­te fach­li­che Eig­nungs­vor­aus­set­zung, die im Anfor­de­rungs­pro­fil aus­drück­lich und ein­deu­tig bezeich­net ist, nicht erfül­len, müs­sen nicht zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den wer­den (BVerwG a.a.O, Rz. 22 m.w.N.). Der öffent­li­che Arbeit­ge­ber muss das Anfor­de­rungs­pro­fil doku­men­tie­ren, damit die Grün­de für sei­ne Ent­schei­dung trans­pa­rent sind und es so nicht mög­lich ist, Eig­nungs­merk­ma­le nach­zu­schie­ben, die das Abse­hen von einer Ein­la­dung zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch recht­fer­ti­gen (BVerwG a.a.O. Rz. 23).

Vor die­sem recht­li­chen Hin­ter­grund hat der Klä­ger das von der Beklag­ten fest­ge­leg­te Anfor­de­rungs­pro­fil erfüllt.

Aus­weis­lich der Aus­schrei­bung ist Vor­aus­set­zung für den Erhalt eines Aus­bil­dungs­plat­zes der Nach­weis, dass min­des­tens eine voll­wer­ti­ge Fach­hoch­schul­rei­fe vor­liegt. Wei­te­re for­ma­le Vor­aus­set­zun­gen ent­hält das Anfor­de­rungs­pro­fil nicht. Die Fach­hoch­schul­rei­fe besitzt der Klä­ger, wie sich aus dem ein­ge­reich­ten Fach­hoch­schul­zeug­nis der berufs­bil­den­den Schu­le III M… ergibt (Bl. 6 d.A.). Zwei­fel an sei­ner kör­per­li­chen Eig­nung sind nicht vorhanden.

Die Beklag­te kann sich nicht dar­auf beru­fen, dass der Klä­ger den Eig­nungs­test nicht bestan­den hat, denn inso­weit befand sich die­ser bereits im Aus­wahl­ver­fah­ren. Das Bestehen der Eig­nungs­tests war bereits aus­weis­lich der Aus­schrei­bung der Beklag­ten nicht Gegen­stand des Anfor­de­rungs­pro­fils, son­dern Gegen­stand des Aus­wahl­ver­fah­rens. Das ergibt sich bereits ein­deu­tig aus dem Wort­laut der Aus­schrei­bung. Danach beginnt das Aus­wahl­ver­fah­ren mit einem Eig­nungs­test. Die Beklag­te hat mit­hin, ent­ge­gen ihrem Vor­brin­gen, gera­de nicht das Bestehen eines Eig­nungs­tests zum Gegen­stand des Anfor­de­rungs­pro­fils gemacht.

In die­sem Sta­di­um des Aus­wahl­ver­fah­rens – erfolg­rei­ches Bestehen aller Tests – wird bereits Schritt für Schritt die eigent­li­che Aus­wahl­ent­schei­dung erar­bei­tet. Das Offen­sicht­lich­keits­er­for­der­nis des § 82 Satz 3 SGB IX muss sich jedoch nach Maß­ga­be des Anfor­de­rungs­pro­fils bereits objek­tiv nach Durch­sicht der Bewer­bungs­un­ter­la­gen erge­ben. Ist das nicht der Fall, greift § 82 Satz 2 SGB IX, wonach die Ein­la­dung eines schwer­be­hin­der­ten Bewerbers/einer schwer­be­hin­der­ten Bewer­be­rin zum Vor­stel­lungs­ge­spräch zu erfol­gen hat. Auf­grund des kon­kre­ten Aus­schrei­bungs­tex­tes kann hier dahin­ge­stellt wer­den, ob es über­haupt zuläs­sig ist, das Bestehen eines Eig­nungs­tests zum Gegen­stand eines „Anfor­de­rungs­pro­fils“ zu machen (vgl. LAG Schles­wig-Hol­stein, Urteil vom 09.09.2015 – 3 Sa 36/15).

Fazit

Hier­aus folgt, dass ein Eig­nungs- oder Aus­wahl­test in der Regel nicht Teil der Vor­auswahl geeig­ne­ter Bewer­ber sein kann. Ob ein Bewer­ber zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­zu­la­den ist oder nicht muss sich aber gera­de aus die­ser Vor­auswahl erge­ben. Die­se Vor­auswahl muss aus­schließ­lich anhand der objek­ti­ven und in der Stel­len­aus­schrei­bung genann­ten Kri­te­ri­en erfol­gen. Wenn ein grund­sätz­lich geeig­ne­ter Bewer­ber ein­ge­la­den wur­de und dann im Eig­nungs­test durch­ge­fal­len ist, muss die­sem schwer­be­hin­der­ten Bewer­ber die Mög­lich­keit ein­ge­räumt wer­den, die­sen nega­ti­ven Ein­druck durch ein Vor­stel­lungs­ge­spräch wie­der aus­zu­glei­chen. Erfolgt die­se Mög­lich­keit nicht, ist von einer Dis­kri­mi­nie­rung aus­zu­ge­hen. Dass der Arbeit­ge­ber bei der Aus­wahl nicht dis­kri­mi­niert hat, muss die­ser bewei­sen, wenn Tat­sa­chen auf eine Dis­kri­mi­nie­rung hin­deu­ten. Dies gilt aller­dings nur dann, wenn man bei der Bewer­ber gut sicht­bar und deut­lich auf den Schwer­be­hin­der­ten­sta­tus hin­weist. Das Nicht­ein­la­den zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch deu­tet auf eine sol­che Dis­kri­mi­nie­rung hin. Den Gegen­be­weis kön­nen Arbeit­ge­ber in aller Regel nicht antreten.

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