Wenn man in den Urlaub fährt, fragt man sich, brauche ich noch zusätzliche Versicherungen? Schließlich will man die Zeit ja genießen und sich erholen.
Die Entwicklung des GKV Systems
Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung
Vorausgeschickt noch einige Gedanken zum deutschen Sozialsystem: Die Sozialsysteme haben ihre Grundlagen im späten 19. Jahrhundert, als die Grundlagen unter dem damaligen Reichskanzler von Bismarck gelegt wurden. Damals entstanden kleine Arbeitgeber finanzierte Krankenkassen, die für die Arbeitnehmer des Betriebs und deren Angehörige galten. Sobald der Arbeitnehmer kündigte oder gekündigt wurde verlor er auch zumeist seine Krankenversicherung; seine Familie natürlich auch. Dieses System wandelte sich dann im Laufe der Jahrzehnte in Deutschland. Die betrieblichen Krankenkassen oder Betriebskrankenkassen (heute BKKen) wurden durch Allgemeine Ortskrankenkassen (heute AOK) ergänzt, um auch für die Arbeitnehmer Krankenversicherungen zu bieten; die BKKen waren meistens nur für Arbeiter zugänglich und viele Arbeitgeber hatten keine eigenen Krankenkassen eingerichtet.
Das Territorialprinzip – Behandlung nur in Deutschland
Wesentlich für die Krankenkassen und weiteren Sozialversicherungssysteme war, dass für sie das Territorialprinzip galt; der Krankenversicherungsschutz galt also nur innerhalb des Staates, in dem der Beschäftigte wohnte und arbeitete. Dieses Prinzip, das Leistungen grundsätzlich nur im Inland gewährt werden, findet noch heute seinen Ausfluss in § 16 Abs. 1 Ziffer 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (kurz: „SGB V“). Nach § 16 Abs. 1 Ziffer 1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, solange sich der Versicherte im Ausland befindet. Außerdem war es damals höchst unüblich, dass sich viele Menschen ins Ausland aufmachten und dort Urlaub verbrachten oder dort länger verblieben, schließlich war dies eine Zeit vieler Kriege zwischen den Staaten in Europa.
Außerdem wäre das Sachleistungsprinzip sonst nicht durchführbar und es würde es die gleichmäßige Verteilung von Arztpraxen im Bundesgebiet erschweren. Das Sachleistungsprinzip bedeutet, dass ein Versicherter grundsätzlich keinen Anspruch auf Erstattungen in Geld hat, sondern regelmäßig Sachen und Dienstleistungen kostenfrei erhält und die Leistungserbringer über die kassenärztlichen Vereinigungen mit der Krankenversicherung abrechnen.
Behandlungen innerhalb der EU heute
Mitgliedstaaten der Europäischen Union: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums: Island, Liechtenstein, Norwegen + alle 27 EU Mitgliedstaaten Schweiz |
Im Zuge der immer weiter fortschreitenden europäischen Einigung war jedoch ein Umdenken erforderlich, denn das Ziel der Europäischen Union (EU) ist eine Mobilität innerhalb der EU zu fördern, Menschen sollen im Ausland arbeiten, dort studieren und vor allem dort Waren kaufen und Dienstleistungen konsumieren, so dass ein unbeschränkter europäischer Binnenmarkt entsteht. Dem steht es natürlich entgegen, wenn man im Ausland krankenversicherungsrechtlich ungeschützt ist. In diesem Zusammenhang entwickelte sich eine umfangreiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die zu einer Änderung des deutschen Sozialgesetzbuches führte. In § 13 Abs. 4 und 5 SGB V hat der Gesetzgeber dies nun ausdrücklich geregelt.
Ambulante Behandlungen
Ein in Deutschland gesetzlich Versicherter kann sich danach in einem anderen Land der Europäischen Union, dem Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz ambulant bei einem Arzt seiner Wahl behandeln lassen oder dort Waren (beispielsweise Hilfsmittel oder Medikamente) konsumieren. Das gilt nicht für besonders teure Hilfsmittel wie Insulinpumpen, die auch in Deutschland einem Genehmigungsvorbehalt unterliegen. Dies sieht § 13 Abs. 4 SGB V ausdrücklich vor. Die Gründe weshalb man dort zum Arzt geht, ob die Krankheit vorher bestand oder zum ersten Mal ausbricht oder ob es ein Notfall ist oder nicht, sind nicht relevant. Jeder gesetzlich versicherte ist berechtigt sich in diesen Ländern ambulant behandeln zu lassen. Es ist also auch möglich sich dort behandeln zu lassen, wenn man im Grenzbereich wohnt und die Ärzte dort netter findet oder für kompetenter hält oder diese schlichtweg näher sind. Eine solche Behandlung muss man sich auch nicht vorab von der Krankenkasse genehmigen lassen.
Allerdings darf man nur zugelassene Ärzte in Anspruch nehmen, die Dienste von nicht zugelassenen Ärzten oder Wunderheilern sind nicht erstattungsfähig.
Ausnahme stationäre Behandlungen
Im Falle einer geplanten stationären Behandlung in einem Krankenhaus muss diese Behandlung im Ausland vorab nach § 13 Abs. 5 SGB V von der Krankenkasse genehmigt werden. Sie können sich also nicht grundlos im Ausland stationär behandeln lassen, es sei denn die Krankenkasse genehmigt diesen Krankenhausaufenthalt. Eine Ausnahme wäre eine überlange Wartezeit auf eine Behandlung in Deutschland, die jedoch praktisch wohl nie vorkommen wird.
Einschränkungen / Nachteile der Behandlung im Ausland
Man muss für die Behandlung jedoch in aller Regel in Vorleistung treten und zunächst die Behandlungskosten selber bezahlen und kann die Rechnung dann bei der Krankenkasse mit dem Antrag auf Erstattung einreichen. Es bietet sich in dem Fall an mit dem ausländischen Leistungserbringer eine großzügige Zahlungsfrist auszuhandeln. Dieser muss sich darauf jedoch nicht einlassen. Vermutlich werden Sie dort aber in bar oder per EC- / Kreditkarte bezahlen müssen.
Allerdings leistet die deutsche gesetzliche Krankenkasse nur für solche Behandlungen, die auch in Deutschland von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt worden wären. Es ist also nicht möglich dort Leistungen zu erhalten und diese erstattet zu bekommen, wenn diese nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse enthalten sind. Darüber hinaus bezahlt die gesetzliche Krankenversicherung maximal das, was sie auch in Deutschland für die Leistung bezahlt hätte; dies ist jedoch in vielen Fällen unproblematisch sein dürfte, weil ärztliche Behandlungen und Hilfsmittel in vielen Ländern der Europäischen Union günstiger sind; es kann aber auch im Ausland teurer sein! Gekürzt werden die Kosten des weiteren um die gesetzliche Zuzahlung, sofern diese anfällt. Für die Erstattung erheben die Krankenkassen dann noch einmal Gebühren, diese betragen je nach Krankenkasse 7 – 12 %, die vom Rechnungsbetrag abgezogen werden. Diese Satzungsbestimmungen sind jedoch in vielen Fällen unwirksam, da sie einerseits oft für die Kostenerstattung für Behandlungen innerhalb Deutschlands eine geringere Gebühr vorsehen und andererseits nicht berücksichtigen, dass der Rechnungsbetrag häufig geringer ist als er bei einer Behandlung in Deutschland wäre und der Krankenkasse durch die Erstattung also kein Schaden entsteht.
Meiner Auffassung nach müssen die Krankenkassen also für die Behandlungen im In- und Ausland bei gewählter Kostenerstattung die selben Gebühren berechnen und andererseits dürfen sie diese nur von dem in Deutschland zu berechnenden Betrag abziehen. Wenn die Gebühren für die Erstattung also fiktiv 10 % betragen, die Behandlung im Ausland aber schon fiktiv 20 % weniger kostet als in Deutschland, ist kein Grund ersichtlich der einen Abzug der 10 % rechtfertigt, da die Krankenkasse ja ohnehin schon Geld einspart. Die Gebühr hätte dann einen Straf- oder Abschreckungscharakter, der europarechtlich unzulässig ist. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass man hier auf andere Meinungen der Krankenkasse treffen wird.
Notfallbehandlungen
Eine Notfallbehandlung im Krankenhaus – auch stationär – wird natürlich von der Krankenkasse erstattet und unterliegt keinem Genehmigungsvorbehalt.
Privat Versicherte
Für privat versicherte gilt dies insoweit nicht, da bei diesen zunächst einmal der Versicherungsvertrag zu prüfen ist. Dies würde jedoch den Umfang dieses Artikels sprengen, darüber hinaus sind nur sehr wenige Diabetiker privat versichert, weil eine private Krankenversicherung, die nach der Diagnose abgeschlossen wird regelmäßig nachteiliger ist.
Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.