Eine – berechtigterweise – häufig gestellte Frage ist, ob man „den Schwerbehindertenausweis“ oder juristisch betrachtet, den Status der Schwerbehinderung wieder loswerden kann. Das ist gerade deshalb wichtig, weil die Feststellung der Schwerbehinderung nicht nur Vorteile hat, beispielsweise kann es Probleme bei der Jobsuche geben oder es können auch psychische Gründe bestehen, die in einem den Entschluss reifen lassen die Schwerbehinderteneigenschaft wieder loszuwerden.
Häufig hört oder ließt man dazu:
Mein Diabetologe hat gesagt, Du kannst den Ausweis jederzeit wieder abgeben.
Oder:
Mit dem 18. Lebensjahr bekommst Du ein Entscheidungsrecht.
Beides, das darf schon einmal vorweggenommen werden, ist falsch.
Schwerbehinderteneigenschaft
Zunächst einmal hat der Ausweis nichts mit der Schwerbehinderteneigenschaft an sich zu tun. Dieser weist die Feststellung der Schwerbehinderung nur aus. Festgestellt wird dieser Status jedoch durch einen Verwaltungsakt, also durch das Handeln der zuständigen Behörde. Diese verschickt hierüber ein Schriftstück (Bescheid), aus dem die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft hervorgeht. Daher wird die Schwerbehinderteneigenschaft auch nicht – wie man bei Betrachtung des Ausweises vielleicht denken könnte – befristet erteilt. Der Ausweis erleichtert lediglich den Nachweis bei Behörden oder dem Kino an der Ecke, da ich sonst mit 3 oder 4 Din A4 Seiten herumlaufen müsste, die dann nach kurzer Zeit ziemlich zerfleddert sein dürften.
Werfe ich also meinen Schwerbehindertenausweis weg, verbrenne ihn oder lasse ihn ablaufen (wenn er denn befristet ausgestellt wurde), dann bin ich weiterhin schwerbehindert, da sich der Verwaltungsakt nicht von alleine auflöst.
Aufhebung des Verwaltungsakts
Die spannende Frage, die sich viele Personen stellen ist daher, kann ich die einmal festgestellte Schwerbehinderung anderweitig, beispielsweise durch einen darauf gerichteten Antrag wieder loswerden?
Zunächst einmal gibt es keine Sonderregeln für die Aufhebung der Schwerbehinderteneigenschaft, so dass die allgemeinen Regeln des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) anzuwenden sind.
Wenn also eine Heilung eintritt wäre der Verwaltungsakt nach § 45 SGB X zurückzunehmen, denn der Verwaltungsakt ist dann rechtswidrig geworden. Schließlich dürfte er nicht mehr erlassen werden, denn die Heilung steht der Feststellung der Schwerbehinderung naturgemäß entgegen. Die Behörde kann den Verwaltungsakt daher gemäß § 45 Abs. 1 SGB X zurück nehmen. Eine Heilung ist jedoch derzeit nicht möglich.
Ein Widerruf ohne Heilung wäre nur nach § 46 SGB X oder nach § 47 SGB X möglich. Schließlich ist der Verwaltungsakt rechtmäßig. Für die Unterschiedung, welcher der beiden Paragraphen maßgeblich ist, ist nun die Frage zu beantworten – das wäre oben im Falle der Heilung auch so gewesen, das habe ich dort absichtlich übergangen um zu kürzen – ob es sich um einen begünstigenden oder einen belastenden Verwaltungsakt handelt. Nun könnte man etwas vorschnell sagen, ich will die Feststellung ja gerade loswerden, deswegen belastet mich diese. Der begünstigende Verwaltungsakt ist in § 45 Abs. 1 SGB X legaldefiniert, demnach ist ein begünstigender Verwaltungsakt, „ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat“. Vorliegend wurde durch die Feststellung der Schwerbehinderung ein Recht bestätigt, der Verwaltungsakt ist also rechtlich begünstigend, denn derjenige erhält ein Recht dazu. Folglich ist § 46 SGB X unanwendbar und § 47 SGB X ist anzuwenden. § 47 Abs. 1 SGB X regelt genau, unter welchen Vorraussetzungen ein Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann, der a) rechtmäßig und b) begünstigend ist:
§ 47
Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes(1) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, soweit
1. der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist, 2. mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
Vorliegend müsste der Widerruf zugelassen sein, was hier, wie eingangs beschrieben, nicht der Fall ist. Auflagen im Sinne von Ziffer 2 sind regelmäßig nicht Bestandteil des Verwaltungsakts. Diese Aufzählung ist abschließend und nicht erweiterungsfähig.
Folglich kann der Verwaltungsakt nicht aufgehoben werden, ohne, dass man geheilt ist, mit der Folge, dass man schwerbehindert bleibt mit allen Vor- und Nachteilen. In der Praxis soll es wohl aber Fälle geben, bei denen die Behörde dem Wunsch nachgekommen ist.
Alternativmöglichkeit?
Es gibt eine Alternative! Man kann beantragen, dass der Grad der Behinderung neu festgestellt werden soll und darlegen, warum die Erkrankung gerade keine Einschnitte in die Lebensführung (mehr) bedingt und folglich beantragen einen GdB von 30 oder 40 festzusetzen. § 48 SGB X bietet genau diese Möglichkeit. Aufgrund der Tatsache, dass eine Beeinträchtigung der Lebensführung vorhanden sein soll, darüber habe ich hier ausführlicher geschrieben, sollte es relativ problemlos möglich sein, diese Änderung zu erreichen. Man ist dann zwar nicht mehr „schwerbehindert“, aber weiterhin „behindert“. Man verliert durch diese Feststellung sowohl alle Vor- und Nachteile, abgesehen von möglicherweise psychischen Problemen, die diese Feststellung mit sich mitbringt.
Übrigens, kurz zu dem zweiten Zitat, es ist vollkommen egal, ob man 18 ist oder nicht. Verwaltungsakte gelten weiter, auch wenn die Eltern wie hier häufig der Fall die Feststellung der Schwerbehinderung beantragt haben, gelten die Verwaltungsakte genauso, als hätte die jeweilige Person den Verwaltungsakt selber beantragt. Denn die Eltern treten dabei als Stellvertretung des Kindes auf, dies wirkt für und gegen das Kind als hätte es selber gehandelt. Insofern gilt analog zu den überaus beliebten – dort aber falschen – Baustellenschildern:
Kinder haften für ihre Eltern!
Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.
Stefan Philipp Neugebauer
Hatte mit 18 Jahren, einen schweren Autounfall, worauf ich einen Schwerbehindertenausweis, von 50% erhielt. Diesen gab ich mit 22 Jahren, wieder zurück. Unterlagen darüber, besitze ich nicht mehr.
Inzwischen bin ich 60 Jahre und möchte nun wissen, ob und wenn ja, ich diesen wieder zurück holen/beantragen kann.
Wer weiß über sowas, Bescheid?
Viele Grüße
Stefan
RA Jan Twachtmann – Fachanwalt für Medizinrecht
Hallo Stefan,
Du könntest Dich an Sozialrechtler*innen in Deiner Gegend wenden. Maßgeblich wäre folgendes: Besteht die Feststellung des GdB noch (Akteneinsicht!), wenn ja, kann formlos ein neuer Ausweis ausgestellt werden, besteht die Feststellung nicht mehr, bzw. nicht mehr in der Höhe, dann müsste eine Neufeststellung beantragt werden.
Thomas
Ich habe den Ausweis 2019 beantragen lassen ‚weil man mir eingeredet hat das ich den brauche. Ich habe asthma hatte einen Rundrücken wo ich dabei bin ihn loszuwerden und Eine matheschwäche deswegen habe ich ihn. Das alles hatte ich vorher schon bevor er beantragt wurde. Ich möchte ihn komplett abgeben wenn das nicht geht herabgestuft werden.
Regina Arndt
Ich habe mein schwerbehinderten aus weiß nach Hannover/ oder Hildesheim zurück geschickt ich brauchte es nicht dieser war auf Zeit wie bekomme ich diesen wieder zurück bitte geben Sie mir Eine Info ivh bin umgezogen Nach Bochum Frau Arndt
Julia
Was kann man tun, wenn der Verwaltungsakt aufgrund einer Fehldiagnose erfolgt ist? Kann er dann für ungültig erklärt werden? Oder welche Möglichkeiten gibt es?