Bereits am 26. Februar 2013 ist das Patientenrechtegesetz vom 20. Februar 2013 (vgl. BGBl. 2013, 277) oder lang, das „Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“, in Kraft getreten. Das Patientenrechte regelt einige gesundheitsrechtliche Aspekte, die es den Patienten erleichtern sollen Rechte wahrzunehmen oder sich zu schützen (Beispiel: Behandlungsfehler). Ein Aspekt, dem ich mich heute annehme, ist weitgehend unbeachtet geblieben. Es geht hierbei um die Frist, in der die Krankenkasse über die Bewilligung oder Ablehnung von Hilfsmitteln, wie Insulinpumpen oder kontinuierliche Glukosemesssysteme (CGM), zu entscheiden hat. Saschas Erfahrungen bei der Beantragung der Insulinpumpe der Animas Vibe möchte ich hierbei zum Anlass nehmen. Er hat auch bereits Informationen zum Patientenrechtegesetz gesammelt und wurde wohl falsch beraten. Das passt leider auch ins Bild, laut einer Untersuchung der Unabhängigen Patientenveratung werden Patienten von den Sozialversicherungsträgern in rund einem Drittel der Fälle falscht informiert (vgl. Gras-Nicknig, RDG 2013, 222). An dieser Stelle muss ich leider darauf hinweisen, dass gesetzliche Regelungen nie für den Einzelfall gedacht sind und daher auslegungsbedürftig sind, zu Auslegung nimmt man neben dem Wortlaut des Gesetzes und der systematischen Position immer auch Literaturmeinungen und vor allem Gerichtsurteile hinzu. Gerichtsurteile liegen bisher – soweit ersichtlich – noch nicht vor, Literaturmeinungen nur in geringem Umfang. Wichtig: Auf private Krankenversicherung ist dieser Beitrag nicht – auch nicht entsprechend – anzuwenden, sondern gilt lediglich für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen!
Inhaltsverzeichnis
Gesetzliche Grundlage
Grundlage ist zunächst einmal die Neueinführung von § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), der lautet wie folgt:
[…]
(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
[…] (Hervorhebungen durch den Autor).
Die gesetzliche Regelung klingt erst einmal sehr eindeutig, allerdings scheint das in der Anwendung anders zu sein, hierzu komme ich sogleich.
Anwendungsbereich
gesetzliche Krankenversicherung, Beantragungsverfahren
Anwendbar ist die Regelung auf alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht auf die Leistungen der privaten Krankenversicherung. Das betrifft in dem Fall aber alle denkbaren Leistungen, insbesondere Hilfsmittel die im Hilfsmittelkatalog sind, aber auch solche die darin nicht zu finden sind (so wohl auch Kamps, RDG 2013, 252). Die Regelung ist jedoch nicht im Bereich der Pflege anzuwenden, auch nicht auf Pflegehilfsmittel, wohl aber auf solche, die sich für beide Zwecke eignen (vgl. Kamps, RDG 2013, 252).
Widerspruchsverfahren
Unklar ist, ob § 13 Abs. 3a SGB V nur im Ausgangsverfahren (Antragsverfahren) gilt oder auch im Widerspruchsverfahren. Das Widerspruchsverfahren ist ein Rechtsbehelf gegen eine Ablehnung des Kostenübernahmeantrags, bei dem die Krankenkasse die Gelegenheit erhält die Sache noch einmal mit den Argumenten des Versicherten/Patienten zu überdenken und eine neue Entscheidung zu erlassen. Vogl behauptet, dass die Regelungen des § 13 Abs. 3a SGB V auch im Widerspruchsverfahren gelten (vgl. Vogl, NZS 2014, 2010). Er basiert diese Schlussfolgerung primär auf dem Argument, dass das Gesetz nur so nicht leerläuft, denn anderenfalls könnten die Krankenkasse – sofern sie in Zeitnot geraten – einfach schnell den Antrag ablehnen und hätten danach monatelang Zeit, den Antrag zu prüfen. Zudem verfolge der Patient seinen Antrag mit dem Widerspruch schlicht weiter, so dass auch schon deshalb die Frist gelten müsse (vgl. für das Vorstehende Vogl, NZS 2014, 210).
Entscheidungsfrist
Die Krankenkasse soll nach dem Willen des Gesetzgebers also zügig entscheiden. Das ist selbstverständlich auch im Sinne des Patienten, denn der ist meistens krank und benötigt schnell Medikationen, Therapien oder unterstützende Hilfsmittel. Der Gesetzgeber hat daher eine grundsätzliche Frist von drei Wochen geschaffen. Innerhalb dieser Frist muss die Krankenkasse grundsätzlich entscheiden. Etwas länger ist die Frist, wenn die Krankenkasse nicht selber entscheiden kann, sondern nur auf Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MdK) zu entscheiden vermag. Dann beträgt diese Frist fünf Wochen. Auf die Weiterleitung des Antrages an den Medizinischen Dienst muss die Krankenkasse selbstverständlich vor Ablauf der Frist hinweisen, denn anderenfalls kann der Versicherte hiervon keine Kenntnis haben und seine Rechte aus § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V wahrnehmen. Wichtig, im zahnärztlichen Bereich ist die Frist länger.
Fristbeginn
Die Frist beginnt jeweils mit Antragseingang; hierbei ist § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu beachten, danach zählt der Tag des Zugangs des Schreibens nicht dazu. Fristbeginn dürfte jedoch erst dann sein, wenn der Antrag vollständig vorliegt, also keine relevanten Unterlagen mehr nachgereicht werden müssen, bzw. eine Fristverlängerung für die Einholung etwaiger fehlender Unterlagen wäre wohl hinreichend begründet. Fristbeginn ist als der Tag nach Zugang des Schreibens bei der Krankenkasse. Der Antrag ist nicht formgebunden, kann also per E‑Mail, Brief, Fax oder sogar mündlich gestellt werden (so auch KampsDer Autor Norbert Kamps war zum Zeitpunkt der Beitragserstellung (RDG 2013, 252) Referent für Hilfsmittelversorgung beim Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS)., RDG 2013, 252). Von einer mündlichen Antragsstellung sollte jedoch aufgrund von Beweisproblemen abgesehen werden. Das funktioniert natürlich nur, soweit man den Tag des Zugangs kennt, dafür muss man den Brief aber selber einwerfen/übergeben, Faxen oder per Einschreiben an die Krankenkasse schicken. Ist das nicht der Fall und teilt einem die Krankenkasse den Tag des Zugangs nicht mit, darf man bei Briefen davon ausgehen, dass dieser spätestens am dritten Tag nach Aufgabe bei der Post zugegangen ist (so auch Gras-Nicknig, RDG 2013, 222, 225). Sollte der Brief tatsächlich länger brauchen als drei Tage, gilt der Tag des tatsächlichen Zugangs als Tag des Zugangs; im Falle eines Rechtsstreits bei dem es hierauf ankommt, müsste die Krankenkasse dies jedoch beweisen. Wichtig, wird das Schreiben als Einschreiben eigenhändig oder Einschreiben Rückschein verschickt und nimmt der Postbote das Schreiben wieder mit, weil er keinen antrifft oder keinen antrifft der den Zugang quittieren darf oder will, ist das Schreiben erst dann zugestellt, wenn es von der Post abgeholt wird. Diese Versandoptionen eignen sich daher weniger, obwohl man den Zeitpunkt der Zustellung erfährt. Besser geeignet ist die Zustellung des Schreibens mit einem Zeugen, der zum einen den Inhalt des Schreibens kennt (kurz lesen/überfliegen) und bei der Zustellung dabei ist. Am besten macht sich dieser Zeuge auch Notizen von dem wesentlichen Inhalt des Schreibens sowie Zeitpunkt (Datum und Uhrzeit) und Ort der Zustellung. Bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung kann es sein, dass der Zeuge erst nach einem Dreivierteljahr oder länger gefragt wird, wann das Schreiben zugegangen ist. Auch von einer Antragsstellung per E‑Mail sollte man eher absehen, da sich der Zugang regelmäßig nicht beweisen lässt und es auch keine Dreitagesfiktion – wie bei Briefen – gibt. Darlegungs- und beweisbelastet ist immer der Versicherte/Patient dafür, das und wann das Schreiben der Krankenkasse zugegangen ist. Bei E‑Mails, Faxen und Briefeinwürfen ist zu beachten, dass bei Zugang nach Geschäftsschluss und nach üblicher Leerung des Briefkastens ein Zugang erst an dem darauffolgenden Werktag stattfindet. Wichtig ist es hier vorsichtig zu berechnen, sonst werden ggf. die Rechtsfolgen des § 13 Abs. 3a SGB V nicht ausgelöst und man bleibt möglicherweise auf Kosten sitzen.
Fristende
Die Frist endet mit Ablauf von drei/fünf Wochen, die auf den Tag nach der Zustellung folgen. Das regelt – etwas sperrig formuliert – § 188 Abs. 2 BGB.
Beispiel: Du stellst einen Antrag bei der Krankenkasse X, Du wirfst den Antrag mit einem Freund vom 19. Mai 2014 ein. Die Frist beginnt am 20. Mai 2014 zu laufen. Folglich endet die dreiwöchige Frist am 9. Juni 2014 und die fünfwöchige Frist am 23. Juni 2014, jeweils um 24 Uhr.
Fristverlängerung
Eine Fristverlängerung ist nach der gesetzlichen Regelung nur dann möglich, wenn die Krankenkasse hierauf rechtmäßig – also vor Fristablauf – schriftlich hinweist und einen hinreichenden Grund nennt. Schriftliche bedeutet gemäß § 126 Abs. 1 BGB, dass die Krankenkasse einen Brief schreiben muss, der im Original unterschrieben ist. Ein Hinweis, wie man ihn bei Behörden gerne ließt, dass das Schreiben elekronisch erstellt wurde (ja wie denn wohl auch sonst?) und deshalb ohne Unterschrift gültig ist, hat hier keine Gültigkeit, weil die Unterschrift fehlt. Genauso kann ein Fax, eine E‑Mail oder ein Telefonanruf diese Voraussetzungen nicht erfüllen (so auch Gras-Nicknig, RDG 2013, 222, 225). Bei einem Fax erhält man nicht das Schreiben mit der Originalunterschrift, sondern nur einen eigenen Ausdruck mit einer Kopie der Unterschrift, die über Telefonnetze übertragen wurde. Kamps ist wohl – wenig überzeugend – anderer Auffassung und meint, die Fristverlängerung könnte sowohl schriftlich (per Brief), per Fax und per E‑Mail erfolgen (vgl. Kamps, RDG 2013, 252, 253).
Was hingegen ein hinreichender Grund ist, ist derzeit schwer zu beantworten. Hier gibt das Gesetz auch keinerlei Anhaltspunkte. Es dürfte aber relativ eindeutig sein, dass alle Gründe die aus einem Organisationsverschulden (zu wenig Mitarbeiter, zu hohe Urlaubsabwesenheit) keinen hinreichenden Grund darstellen dürften (so auch Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 287; Kamps, RDG 2013, 252, 253). Das folgt schon aus dem Zweck des Gesetzes, nämlich einer Beschleunigung des Verfahrens (vgl. BR-Drs. 312/12, S. 46). In der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber solche Probleme – insbesondere den Personalmangel – als keinen angemessenen Grund hervorgehoben (vgl. BR-Drs. 312/12, S. 46). Als hinreichender Grund dürften damit nur externe Gründe in Betracht kommen, bei denen die Krankenkasse selber kein Verschulden trägt. Gras-Nicknig schreibt, ein hinreichender Grund würde wohl dann vorliegen, wenn die Krankenkasse sachgerechte Ermittlungen des Sachverhaltes anstellen muss (vgl. Gras-Nicknig, RDG 2013, 222, 225, so auch Hartmannvgl. Hartmann, in: http://blog.hartmann-rechtsanwaelte.de/wp-content/uploads/2013/05/Beschleunigung_Bewilligungsverfahren_§-13-Abs-3a-SGB‑V.pdf, S. 2, zuletzt abgerufen am 18.05.2014.). Hiervon müsste aber zumindest die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst ausgenommen werden, da dafür bereits eigene Fristen gelten. In Betracht käme die Einholung anderer ärztlicher Befunde, die bisher nicht vorliegen; die Klärung von Rechtsfragen hingegen nicht (so Gras-Nicknig, RDG 2013, 222, 225). Ein Grund für eine Fristverlängerung dürfte insoweit auch unvollständige Angaben des Versicherten/Patienten sein oder eine fehlende Mitwirkung bei eventuellen Untersuchungen durch den Medizinischen Dienst (vgl. auch Kamps, RDG 2013, 252, 253). Der Versicherte kann folglich nicht sagen, er habe keine Zeit für die Teilnahme an einer notwendigen Untersuchung durch den Medinischen Dienst und sich dann die Hilfsmittel selber beschaffen. Die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung dürften insgesamt sehr hoch liegen.
Zuständigkeit
Die Krankenkasse kann sich nach Ablauf der Frist übrigens nicht darauf berufen, sie sei unzuständig und schon deshalb sei die Frist nicht ausgelöst worden. Der Sozialversicherungsträger, der einen Antrag eines Versicherten erhält muss diesen prüfen. Diese Prüfung muss gemäß § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Hält sich der Sozialversicherungsträger für unzuständig muss er den Antrag an den seiner Meinung nach zuständigen Sozialversicherungsträger weiterleiten und den Versicherten informieren. Versäumt er dies, bleibt er zuständig (so im Ergebnis auch Gras-Nicknig, RDG 2013, 222, 226)!
Rechtsfolge
Bei den Rechtsfolgen wird es dann wiederum schwieriger, da hier noch vieles unklar ist. Hier wird abzuwarten sein, wie die Gerichte zu den sich stellenden Fragen entscheiden.
Selbstbeschaffung/Kostenerstattung
Zunächst einmal können Versicherte nach Ablauf der Frist die Leistungen selber erwerben. Das ist etwas ganz besonderes in unserem Gesundheitssystem, denn das gesamte Gesundheitssystem beruht gemäß § 2 Abs. 2 SGB V auf dem Sachleistungsprinzip. Sachleistungsprinzip bedeutet, dass der Versicherte Dienst- und Sachleistungen erhält, also beim Arzt Behandlungen und bei der Apotheke Medikamente. Mit Rechnungen, Kosten, Erstattungen, Abrechnungen muss sich der Versicherte – zum Glück – nicht beschäftigen.
Erhält der Versicherte also weder eine Genehmigung noch eine Ablehnung seines Antrages innerhalb der Frist, kann der Versicherte selber losgehen und beispielsweise das kontinuierliche Glukosemessgerät käuflich erwerben. Alle ihm hierfür redlicherweise entstandenen Kosten muss die Krankenkasse ihm dann ersetzen. Die Krankenkasse, die regelmäßig geringere Preise für die Hilfsmittel zahlen wird, darf den Versicherten nicht darauf verweisen, dass sie die Leistung günstiger hätte beschaffen können oder die Kauf des Versicherten unwirtschaftlich war, da der Gesetzgeber ausdrücklich auf die entstandenen Kosten verweist. Abziehen wird die Krankenkasse jedoch – und das zu Recht – die Zuzahlung, sofern diese vom Versicherten zu zahlen ist. Kamps ist – wiederum wenig überzeugend – der Auffassung, dass die Krankenkasse auch im Falle der Selbstbeschaffung nach Ablauf der Fristen nur wirtschaftliche und erforderliche Leistungen zu erstatten hat (vgl. Kamps, RDG 2013, 252, 253), dies steht jedoch im eklatanten Widerspruch zum Zweck der Regelung, nämlich der Sanktion eines Fehlverhaltens der Krankenkasse zum Schutze des Versicherten (vgl. BR-Drs. 312/12, S. 46). Zudem kann der Versicherte/Patient dies nicht medizinisch bewerten und muss sich auf die Verordnung des behandelnden Arztes verlassen, dem Versicherten dieses Risiko aufzuerlegen erscheint in diesem Zusammenhang fehlerhaft. So ist es auch (derzeit) überwiegende Auffassung, dass zwar grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Leistungsbewilligung vorliegen müssen, jedoch das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht gilt (so auch Vogl, NZS 2014, 210). Das Sozialgericht Dortmund (SG Dortmund) sieht dies anders, nach der Auffassung des SG Dortmunds müssen alle Leistungsvoraussetzungen vorliegen (vgl. SG Dortmund, Urteil vom 31.01.2014, Az.: S 28 KR 1/14 ER). Der Patient hat damit das Problem, dass er keinerlei Rechtssicherheit hat und ein Laie überhaupt nicht einschätzen kann, ob eine Leistung wirtschaftlich und erforderlich ist. Zwar heißt es in § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V, dass der Patient sich eine erforderliche Leistung selbst beschaffen könne (man beachte: das Wort „Wirtschaftlichkeit“ findet hier jedenfalls keine Nennung), hier muss es aber meiner Auffassung nach für ausreichend gehalten werden, dass ein (Fach-)Arzt das Hilfsmittel verordnet hat und sich damit von der Erforderlichkeit überzeugt hat. Das SG Dortmund begründet seine Auffassung damit, dass die normalen Voraussetzungen für das Merkmal erforderlich gelten müssten, anderenfalls könnte der Versicherte ja auch Fernseher oder Kleidung beantragen (vgl. SG Dortmund, Urteil vom 31.01.2014, Az.: S 28 KR 1/14 ER; so auch Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 287). Abgesehen davon, dass die Argumentation unsachlich ist, wird dies auch durch eine ärztliche Verordnung verhindert, einen Fernseher würde dieser wohl kaum verordnen. Darüber hinaus liegt es in der Hand der Krankenkassen diesen Missbrauch effektiv dadurch zu verhindern, dass sie ihre Arbeit regelkonform erledigen. Meiner Meinung nach verkennt das Gericht damit auch, dass einer der Hauptgründe für die Einführung dieses Zeitdrucks bei den Krankenkassen mit solch einer extremen Rechtsfolge, war, dass medizinische Hilfsmittel in der Regel schnell und dringend benötigt werden, anderenfalls verschlimmert sich ggf. die Krankheit oder die Einschränkungen im sozialen und privaten Umfeld bei der erkrankten Person nehmen zu (so im Ergebnis auch Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 287). Beantragte ein Versicherter tatsächlich einen Fernseher dürften bereits fünf Minuten ausreichen um den Antrag abzulehnen, ein Problem mit der Frist dürften Krankenkassen dann erst Recht nicht haben. Dies dürfte gerade nicht im Interesse des Gesetzgebers gewesen sein (so auch Vogl, NZS 2014, 210, 211). Abgesehen davon hieße es, wenn man tatsächlich die Erforderlichkeit und die Wirtschaftlichkeit nach den üblichen Maßstäbe anlegte, dass die gesetzliche Regelung – zumindest hinsichtlich der Kostenerstattung – nur eine leere Hülse ohne praxisrelevanten Inhalt wäre, denn die Preise der Krankenkassen erhält der Versicherte selber nicht, darüber hinaus hat er auch keine Gutachten zur Verfügung, um die Erforderlichkeit zu prüfen. Hinsichtlich des Urteils des SG Dortmund ist darauf hinzuweisen, dass es nicht direkt um eine Kostenerstattung ging, sondern vielmehr um die Genehmigungsfiktion.
Bei rezeptpflichtigen Hilfsmitteln ist das problematisch, da ohne Verordnung – die ja bei der Krankenkasse ist – wird der Leistungserbringer dies nicht herausgeben. Bei sehr teuren Hilfsmitteln besteht weiter das Problem, dass der Versicherte/Patient zunächst in Vorleistung treten muss, um das Hilfsmittel zu erhalten, anderenfalls wird der Leistungserbringer dies möglicherweise nicht herausgeben. Insbesondere wird dieser keinen langwierigen Rechtsstreit abwarten wollen.
Genehmigungsfiktion
Grundsätzlich gilt die Leistung nach Ablauf der Frist gemäß § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V als genehmigt. Der Versicherte hat dann einen Anspruch auf eine Versorgung mit dem Hilfsmittel als Sachleistung, d. h. die Krankenkasse muss die Leistung einem Versorger vergüten, der wiederum das Hilfsmittel dem Versicherten zur Verfügung stellt (so auch Gras-Nicknig, RDG 2013, 222, 225). Folglich muss die Krankenkasse das Hilfsmittel grundsätzlich genehmigen. Fraglich ist, ob die Krankenkasse den Antrag nach Ablauf der Frist noch wirksam ablehnen kann, wie es bei Sascha der Fall war. Es spricht viel dafür, dass das nicht möglich ist. Aus der derzeit gültigen Gesetzesfassung geht hervor, dass die Leistung nach Ablauf der Frist – freilich nicht, wenn die Frist mit einem hinreichenden Grund verlängert wurde – als genehmigt gilt (so im Ergebnis wohl auch SG Stralsund, Urteil vom 07.04.2014, Az.: S 3 KR 112/13, NZS 2014, 385, Rn. 23; SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 18.12.2013, Az.: S 21 KR 282/13). Das SG Dessau-Roßlau war hier auch sehr deutlich und formuliert: Der Versicherte hat nach Überschreitung der Frist, die nicht durch einen hinreichenden Grund rechtzeitig verlängert wurde, einen Anspruch auf Versorgung (vgl. SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 18.12.2013, Az.: S 21 KR 282/13, liegt derzeit nicht im Volltext vor). In der ersten Fassung lautete die gesetzliche Vorschrift noch anders, dort mussten die Versicherten der Krankenkasse zunächst eine angemessene Frist setzen, bevor sie die Leistung selber kaufen durften; als angemessene Frist wurden zwei Wochen angesehen (vgl. BR-Drs. 312/12, S. 5, 46). Kurz vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens wurde dies durch eine Genehmigungsfiktion ersetzt. Genehmigungsfiktion bedeutet, dass – einfach formuliert – so getan wird, als hätte die Krankenkasse die Leistung aktiv genehmigtSo auch Hartmann, in: a. a. O., S. 3, zuletzt abgerufen am 18.05.2014.. Dies spricht dafür, dass das Genehmigungsverfahren damit durch die Fiktion endgültig beendet ist. Hätte sie die Leistung aktiv genehmigt, könnte sie auch nicht kurz darauf schreiben, sie habe sich nun doch anders entschieden. Eine Aufhebung der Genehmigungsfiktion würde sich dann nach §§ 45, 47 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) richten. Für diese Auslegung spricht, dass der Gesetzesentwurf kurz vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens „verschärft“ wurde, außerdem soll es sich gerade um eine Sanktion gegen die Krankenkasse handeln (vgl. BR-Drs. 312/12, S. 46). Die Rücknahme eines rechtwidrigen Verwaltungsaktes – hier also einer rechtswidrigen fiktiven Genehmigung – würde sich nach § 45 Abs. 3 SGB X richten. Damit käme eine Rücknahme nur in Betracht, wenn der Versicherte entweder unvollständige oder falsche Angaben gemacht hat, die Rechtswidrigkeit kannte oder der Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt des Widerrufs erlassen worden ist. Die Voraussetzungen dürften meistens bei einer nur unterstellten Genehmigung nicht vorliegen. Das SG Dessau-Roßlau hat weiter entschieden, dass eine Rücknahme des fiktiven Verwaltungsakts nicht in Betracht komme (vgl. SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 18.12.2013, Az.: S 21 KR 282/13, liegt derzeit nicht im Volltext vor), das bedeutet, die Krankenkasse muss die beantragte Leistung – wie beantragt – durchführen. Die Voraussetzungen des Widerrufes (§ 47 SGB X) dürften dann erst Recht nicht vorliegen. Im Rahmen dieser Genehmigungsfiktion wird es aber wohl noch klärender Rechtsprechung bedürfen, insbesondere inwiefern die Krankenkasse hieran gebunden ist und wie die Bindungswirkung wieder aufgehoben wird. Jedenfalls reicht ein Schreiben, dass den ursprünglichen Antrag ablehnt – wie bei Sascha – nicht aus, um um die Bindungswirkung herumzukommen.
Eine Klageweise Durchsetzung der Genehmigungsfunktion auf dem Gerichtswege zur Versorgung mit Sachleistungen ohne vorherige Beschaffung durch den Versicherten auf eigene Kosten ist nach Auffassung des SG Stralsund nicht mit einer Feststellungsklage möglich, sondern mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, im Eilfall mit einer Regelungsanordnung (vgl. SG Stralsund, Urteil vom 07.04.2014, Az.: S 3 KR 112/13, NZS 2014, 385, Rn. 23).
Beschaffung trotz Verlängerung
In der Kommentierung ist anerkannt, dass der Versicherte trotz der Mitteilung eines hinreichenden Grundes gemäß § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V berechtigt ist, die Leistung selber zu beschaffen (vgl. Kingreen, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 13, Rn. 29). In dem Fall greift allerdings die Genehmigungsfiktion nicht, was bedeutet, dass die Krankenkassen den ganz normalen Maßstab anlegen kann und muss, denn sie hat sich nicht fehlerhaft verhalten und die Frist durch Mitteilung eines hinreichenden Grundes verlängert. Ist die Leistung dann wirtschaftlich und erforderlich und liegen die weiteren Voraussetzungen vor, muss die Krankenkasse die Kosten erstatten. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, wird sie diese nicht erstatten. Ich gehe davon aus, dass diese Auslegung, die vom direkten Wortlaut der Norm (dieser setzt lediglich eine Überschreitung der Frist voraus) gedeckt wird, wird in der Praxis sicherlich noch zu Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung führen.
Wichtig
Dies ist keine Einzelfallberatung und auch keine Rechtsberatung, im Einzelfall kann das Ergebnis anders lauten. Bitte nimm daher meine allgemeinen Hinweise zu diesem Blog zur Kenntnis.
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Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.