Viele kennen das, man wird behandelt und hat Zweifel, ob die von dem behandelnden Arzt verordneten Medikamente oder die verordnete Therapie – möglicherweise eine risikoreiche Operation – tatsächlich erforderlich sind. Selber kann man das oft nicht einordnen bzw. überprüfen und oft trügt das Gefühl des Betroffenen nicht.
Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und beabsichtigt einen neuen § 27b SGB V (Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) einzuführen:
§ 27b Zweitmeinung
(1) Versicherte, bei denen die Indikation zu einem planbaren Eingriff gestellt wird, bei dem insbesondere im Hinblick auf die zahlenmäßige Entwicklung seiner Durchführung die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist, haben Anspruch darauf, eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung bei einem Arzt oder einer Einrichtung nach Absatz 3 einzuholen. Die Zweitmeinung kann nicht bei einem Arzt oder einer Einrichtung eingeholt werden, durch den oder durch die der Eingriff durchgeführt werden soll.
(2) Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in seinen Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 13 für welche planbaren Eingriffe nach Absatz 1 Satz 1 der Anspruch auf Einholung der Zweitmeinung im Einzelnen besteht. Er legt, soweit erforderlich, eingriffsbezogen Anforderungen an die Abgabe der Zweitmeinung und an die Leistungserbringer nach Absatz 3 fest, die für die Abgabe einer Zweitmeinung geeignet sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die Festlegungen nach den Sätzen 1 und 2 erstmals bis zum 31. Dezember 2015. Zusätzliche Zweitmeinungsangebote der Krankenkassen auf Grund von Satzungsbestimmungen müssen die Anforderungen nach Satz 2 erfüllen, die der Gemeinsame Bundesausschuss für eine Indikation festgelegt hat.
(3) Zur Erbringung einer Zweitmeinung sind berechtigt:
1. zugelassene Ärzte,
2. zugelassene medizinische Versorgungszentren,
3. ermächtigte Ärzte und ermächtigte Einrichtungen sowie
4. zugelassene Krankenhäuser, soweit sie die Anforderungen nach Absatz 2 Satz 2 erfüllen.
(4) Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landeskrankenhausgesellschaften informieren inhaltlich abgestimmt über Leistungserbringer, die unter Berücksichtigung der vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach Absatz 2 Satz 2 festgelegten Anforderungen zur Erbringung einer unabhängigen Zweitmeinung geeignet und bereit sind.
(5) Der Arzt, der die Indikation für einen Eingriff nach Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1 stellt, muss den Versicherten über das Recht, eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung einholen zu können, aufklären und ihn auf die Informationsangebote über geeignete Leistungserbringer nach Absatz 4 hinweisen. Die Aufklärung muss mündlich erfolgen; ergänzend kann auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Versicherte in Textform erhält. Der Arzt hat dafür Sorge zu tragen, dass die Aufklärung in der Regel mindestens zehn Tage vor dem geplanten Eingriff erfolgt. In jedem Fall hat die Aufklärung so rechtzeitig zu erfolgen, dass der Versicherte seine Entscheidung über die Einholung einer Zweitmeinung wohlüberlegt treffen kann.
Zu loben ist, dass dieser wichtige Anspruch nun endlich einmal gesetzlich normiert werden soll. Am 17. Dezember 2014 hat die Bundesregierung das Gesetz zur Einführung dieses Anspruches mit dem sperrigen Namen „Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG) beschlossen. Inkrafttreten wird es gemäß Art. 20 Abs. 1 Versorgungsstärkungsgesetz am Tage nach der Verkündung. Dafür muss es zunächst dem Bundestag vorgelegt und danan von diesem beschlossen werden. Das wird sicherlich noch ein bisschen Zeit dauern. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sieht die Verabschiedung des Gesetzes positiv:
„Gute medizinische Versorgung darf auch in Zukunft keine Frage des Wohnorts sein. Gerade im ländlichen Raum sind verstärkte Anstrengungen nötig, um eine gute Versorgung aufrechtzuerhalten. Finanzielle Anreize sind dabei ein Baustein, wichtig ist aber auch die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass sich wieder mehr Ärzte für den Landarztberuf entscheiden. Gleichzeitig geht es darum, die Versorgung klug weiterzuentwickeln. Mit dem Innovationsfonds sollen gezielt Projekte gefördert werden, die neue Wege in der Versorgung beschreiten“ (Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 17.12.2014, Nr. 64).
Sobald das Gesetz in Kraft getreten ist, wird ein Patient die Zweitmeinung als Sachleistung erhalten, sofern sein persönlicher Fall zufällig in die Richtlinie des G‑BA fällt. Das bedeutet, dass er zum Arzt gehen kann und die Untersuchung kostenfrei erhält, wie bei der Erstmeinung auch. Ausgeschlossen für die Zweitmeinung sind Ärzte der selben Praxisgemeinschaft bzw. desselben Krankenhauses, man muss zu einem Dritten Arzt gehen, der völlig objektiv sein soll.
Leider ist der Anwendungsbereich der neuen gesetzlichen Regelung denkbar eng gefasst. Denn der Anspruch soll Patienten nur zur Verfügung stehen, wenn bei diesem „die Indikation zu einem planbaren Eingriff gestellt wird“. Was das sein kann oder sein soll, scheint der Gesetzgeber auch nicht so genau zu wissen und überlässt dies komplett dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G‑BA) (vgl. § 27b Abs. 2 SGB V-Entwurf). Bis zum 31. Dezember 2015 (das ist noch ein Jahr hin), soll der G‑BA hierzu Richtlinien erlassen. Schöner und dem medizinischen Fortschritt stärker Rechnung tragen würde es, wenn der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Anspruch des Patienten geschaffen hätte, eine Zweitmeinung einzuholen und dies nicht auf Richtlinien des G‑BA beschränkt. Bei der Zweitmeinung handelt es sich um so ein wichtiges Institut, das dieses nicht beschränkt werden sollte und jedem offen stehen muss. Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband kritisiert diese Einschränkung (vgl. Ärztezeitung vom 16.12.2014).
Die Bundesregierung begründet die gesetzliche Regelung in dem Gesetzentwurf wie folgt:
„Zu Nummer 7 (§ 27b)
Zu Absatz 1
Satz 1 begründet den Rechtsanspruch des Versicherten, sich vor sogenannten mengenanfälligen planbaren Eingriffen eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung zur medizinischen Notwendigkeit und Sachgerechtigkeit des vorgesehenen Eingriffs einzuholen. Im Rahmen seines Wahlrechts kann der Versicherte zwischen allen nach § 95 Absatz 1 Satz 1 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärztinnen bzw. Ärzten und Einrichtungen sowie nach § 108 zugelassenen Krankenhäusern wählen, die die Anforderungen nach Absatz 2 Satz 2 erfüllen. Die Zweitmeinung wird als gesonderte Sachleistung in der vertragsärztlichen Versorgung gewährt. Dies erfordert eine inhaltlich-strukturelle und bewertungsbezogene Ableitung der mit der Zweitmeinung verbundenen Leistungsanteile aus bestehenden Gebührenordnungspositionen des einheitlichen Bewertungsmaßstabs mit dem Ziel der Schaffung einer gesonderten Abrechnungsmöglichkeit der ärztlichen Zweitmeinung (siehe § 87 Absatz 2a Satz 9 – neu –). Durch die Einholung einer Zweitmeinung werden künftig für den Versicherten ärztliche Beratungs- und Untersuchungsleistungen zulässigerweise ein zweites Mal erbracht und der notwendige Behandlungsbedarf wird zu Lasten der Krankenkassen ausgeweitet. Dies ist bei der Anpassung des notwendigen Behandlungsbedarfs im Rahmen der Vereinbarung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung zu berücksichtigen oder – für einen Übergangszeitraum – extrabudgetär zu vergüten. Gegeben ist der Anspruch auf Zweitmeinung nach der Regelung bei einem planbaren Eingriff, bei dem insbesondere unter Berücksichtigung der zahlenmäßigen Entwicklung seiner Durchführung das Risiko einer zu weiten Indikationsstellung und damit einer nicht durchgängig medizinisch gebotenen Vornahme des Eingriffs nicht auszuschließen ist (sogenannte mengenanfällige Eingriffe). Um welche Eingriffe es sich hierbei im Einzelnen handelt, wird nach Absatz 2 Satz 1 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt. Der Anspruch auf Zweitmeinung kann danach sowohl bei Eingriffen gegeben sein, die in der ambulanten Versorgung durchgeführt werden, als auch bei solchen, die in der stationären Versorgung oder in beiden Versorgungsbereichen durchgeführt werden.Nach Satz 2 darf die Zweitmeinung nicht von derselben Ärztin bzw. demselben Arzt oder von derselben Einrichtung eingeholt werden, in der der Eingriff durchgeführt werden soll, ansonsten entfällt der Leistungsanspruch für die Zweitmeinung. Dieser Leistungsausschluss zielt darauf ab, die Unabhängigkeit der Zweitmeinung zu stärken und gleichzeitig falsche finanzielle Anreize zur Zweitmeinungserbringung zu vermeiden. Neben derselben Ärztin bzw. demselben Arzt umfasst der Ausschluss für die Zweitmeinung dasselbe Krankenhaus und auch Kooperationsformen, wie z. B. Berufsausübungsgemeinschaften oder Praxisgemeinschaften. Von dieser Regelung unberührt bleiben die Verpflichtung der vom Versicherten für den Eingriff aufgesuchten Einrichtung, die Indikationsstellung zu überprüfen, sowie der Leistungsanspruch des Versicherten zur Übernahme der hierfür entstehenden Kosten.
Zu Absatz 2
Nach Satz 1 erhält der Gemeinsame Bundesausschuss den Auftrag, in einer Richtlinie zur Qualitätssicherung zu konkretisieren, bei welchen planbaren Eingriffen im Hinblick auf die „Mengenanfälligkeit“ das Zweitmeinungsverfahren eröffnet ist. Ihm obliegt es damit, die planbaren Eingriffe zu bestimmen, bei denen insbesondere unter Berücksichtigung der zahlenmäßigen Entwicklung ihrer Durchführung und anderer relevanter Faktoren (z. B. der demographischen Entwicklung) das Risiko einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist.Soweit der Gemeinsame Bundesausschuss es für erforderlich hält, legt er nach Satz 2 zudem Anforderungen an die Abgabe der Zweitmeinung und an die Leistungserbringer nach Absatz 3 fest, die für die Abgabe einer Zweitmeinung bei einem speziellen Eingriff geeignet sind. Dies dient dazu, eine qualitativ hochwertige Erbringung der Zweitmeinung zu unterstützen. In Betracht kommen besondere Qualifikationsanforderungen, aber auch Struktur- oder Prozessvorgaben sowie Anforderungen an die Einbeziehung von Ärztinnen bzw. Ärzten weiterer medizinischer Fachgebiete (interdisziplinäre Zweitmeinungserbringung) […]“ (vgl. Gesetzentwurf vom 17.12.2014, S. 93 f.).
Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.