Heute ist Weiberfastnacht. Für mich als Norddeutscher ein weniger wichtiger Tag, als für solche Menschen, die aus dem Rheinland oder dem Ruhrgebiet stammen. Vor allem im Rheinland werden alljährlich den Männern die Krawatten eingekürzt. Typischerweise stürmen die Arbeitskolleginnen auf die Arbeitskollegen – bewaffnet mit Büroscheren – ein, und schneiden das untere Stückchen der Krawatte ab. Oft wird es dann irgendwo als Trophäe aufgehängt.
Wer dort lebt und weilt, der kennt diese Bräuche und kommt entweder gänzlich ohne oder nimmt eine Krawatte, bei der man „Schäden“, also das abschneiden, in Kauf nehmen kann. Was aber, wenn jemand den Brauch nicht kennt?
Dann kommt es möglicherweise zu einem Klageverfahren, wie 1987 in Essen (AG Essen, Urteil vom 3. Februar 1988 – 20 C 691/87). Es ist kaum zu glauben, aber folgender Fall führte zu einem Rechtsstreit auf Zahlung von Schadenersatz:
Am 26.02.1987, dem Tag, an dem nach karnevalistischer Tradition die sogenannte „Weiberfastnacht“ gefeiert wurde, betrat der Kläger das Altenessener Reisebüro im Einkaufszentrum F. Der Kläger war äußerst gepflegt gekleidet und trug eine Krawatte. Der Kläger wollte bei der Firma I in P durch eine Verabredung mit einem Vertreter einer holländischen Firma wegen des Abschlusses einer Transportversicherung wahrnehmen.
Als der Kläger das Reisebüro betreten hatte, trat die Beklagte auf ihn zu und versuchte, ohne den Kläger zu fragen, ihm die Krawatte abzuschneiden, die dabei so beschädigt wurde, daß sie nicht mehr tragbar ist. Hierin hatte der Kläger nicht eingewilligt (vgl. AG Essen, Urteil vom 3. Februar 1988 – 20 C 691/87).
Das Amtsgericht Essen entschied, dass die Frau verpflichtet ist, dem Mann Schadenersatz in Höhe von DM 40,00 zu leisten. Sie hatte vorliegend das rechtlich geschützte Eigentum des Kunden verletzt, denn die Krawatte war objektiv zerstört/unbrauchbar. Gemäß § 823 Abs. 1 BGB war sie daher zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet. Übrigens hatte der Kunde behauptet, die Krawatte habe DM 98,00 gekostet. Das Amtsgericht schätzte den Wert der Krawatte jedoch gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf DM 40,00.
Laut dem AG Essen kann der Brauch des Krawattenabschneidens hier keine Rechtfertigung für die Eigentumsverletzung sein, denn:
Rechtfertigungsgründe standen im übrigen der Beklagten nicht zur Seite. Unstreitig geschah die Zerstörung der Krawatte ohne Einwilligung des Klägers. Auch für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung ist kein Raum. Denn eine mutmaßliche Einwilligung im Zivilrecht kommt nur dann als Rechtfertigung in Betracht, wenn das betroffene Opfer nicht in der Lage ist, ausdrücklich die Einwilligung selbst zu erklären. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall gewesen (vgl. Soergel/Zeuner, BGB, 11. Auflage, § 823, Randnummer 199). Die Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt. Wenn auch im Zivilrecht grundsätzlich der Vorsatz die Rechtswidrigkeit des Verhaltens mitumfassen muß (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 45.Auflage 1986, § 276 Anm. 3 a.E.), so hat dennoch die Beklagte schon aufgrund ihres eigenen Vortrages zumindestens fahrlässig gehandelt. Denn die irrtümliche Annahme einer Einwilligung führt weder zur Rechtfertigung noch zum Schuld- ausschluß, soweit diesbezüglich nicht ebenfalls Fahrlässigkeit ausgeschlossen ist (BGH 1M, § 823 Nummer 2 Hb; Soergel-Zeuner, a.a.O., § 823 Randnummer 195; Münchener Kommentar-Mertens, BGB, 2.Auflage 1986, § 823 Randnummer 33).
Die Beklagte selbst hat nicht dargelegt, daß sie selbst bei äußerster Anspannung der Sorgfaltspflichten nicht das Fehlen der Einwilligung hat erkennen können. Schon leichte Fahrlässigkeit reicht zur Verwirklichung des Verschuldenstatbestandes aus, § 276 BGB. Die Umstände im einzelnen darzulegen, hätte der Beklagten oblegen, da sie insofern hinsichtlich des Irrtums über vorhandene Rechtfertigungsgründe die Beweislast und damit auch die Darlegungslast trägt (vgl. BGHZ 69, 143) (vgl. AG Essen, Urteil vom 3. Februar 1988 – 20 C 691/87).
Grundsätzlich hätte hier eine Rechtfertigung eine Schadenersatzpflicht beseitigen können.
Also, Augen auf beim Krawatte abschneiden. Auch wenn das Nachfragen, ob man die Krawatte „zerstören“ darf, nicht „gebräuchlich“ ist, kann dies bei fremden Personen doch sinnvoll sein.
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Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.