Häufig hört man, dass man bei Diabetes auf jeden Fall einen Anspruch auf einen GdB von 50 hat. Dass das objektiv falsch ist, hatte ich schon am 31.05.2013 unter dem Titel „Unter welchen Voraussetzungen bekomme ich einen Schwerbehindertenausweis mit Diabetes?“ gepostet.
Grund für dieses Missverständnis ist, dass es mal anders geregelt war. Zwischenzeitlich ist der Regel-Grad der Behinderung (GdB) aber für einen Typ-1er ohne weitere Erkrankungen und ohne Folgeschäden 40. Für Laien ist es aber schwer, die Schwerpunkte der gesetzlichen Regelung zu verstehen und den GdB einzuschätzen. Ich habe daher mal die Rechtsprechung der letzten Jahre zusammengetragen und mit Stichpunkten verschlagwortet.
Kurz zur Wiederholung, die gesetzliche Regelung lautet:
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50. (vgl. Teil A, Ziffer 15.1 VersMedV; Herhorhebung durch den Autor).
Auf das hier hervorgehobene „und“ kommt es an. Neben den objektiven Voraussetzungen benötigt man die subjektiven „erheblichen Einschnitte“, die einen „gravierend in der Lebensführung beeinträchtigen“. Meistens hört und ließt man dann, ja klar, das Messen beeinträchtigt mich ja gravierend. Der Verordnungsgeber sieht das Messen, das Spritzen und das Rechnen allerdings als mit dem GdB von 40 abgegolten an.
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Gericht | Aktenzeichen | Datum | Beschreibung | GdB |
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SG Chemnitz | S 16 SB 190/15 | 02.12.2015 | Kläger 53 Jahre; Typ‑1; ICT; „Im Schwerbehindertenrecht kommt es auf Einschränkungen des Freizeitvergnügens oder der gefühlten Lebensqualität nicht an, ebenso nicht auf Erschwernisse im Berufsalltag. Bewertet werden im Schwerbehindertenrecht ausschließlich die objektiv feststellbaren Funktionseinschränkungen der Glieder oder Organe und deren funktionelle Auswirkungen.“; rechtskräftig | 40 |
LSG Sachsen-Anhalt | L 7 SB 15/14 | 24.09.2015 | Klägerin 57 Jahre; Typ‑1; „Die Klägerin wird über den einschränkenden Therapieaufwand hinaus nicht auch noch zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in ihrer Leistungsfähigkeit und damit in ihrer Teilhabefähigkeit am Leben erheblich beeinträchtigt. Eine äußert schwer regulierbare Stoffwechsellage liegt nicht vor. Der von Dr. L. am 25. Mai 2012 festgestellte „chronisch entgleiste Diabetes mellitus“ wird nicht medizinisch belegt. Der HbA1c-Wert liegt, abgesehen von der zwischenzeitlichen Verschlechterung aufgrund der Fersenbeinoperationen, weitgehend im Normalbereich. Der einmalige HbA1c-Wert-Wert von 9% (29. August 2011) im streitbefangenen Zeitraum kann bei einem ansonsten über Jahre relativ konstanten HbA1c-Wert um 7% nicht als Beleg für eine schlechte Stoffwechseleinstellung herangezogen werden. Auch die erhöhten Blutzuckerwerte während der Behandlungen des Fersenbeins sind nach der Mobilisation wieder zurückgegangen und können nicht als Nachweis einer schlechten Einstellungsqualität dienen. Schwere Hypoglykämien und solche, die auch Fremdhilfe erfordert haben, sind nicht aufgetreten. Die mit der Erkrankung üblicherweise einhergehenden Blutzuckerschwankungen und die damit verbundenen Symptome wie Konzentrationsschwankungen, Schwindel und Müdigkeit, insbesondere bei körperlichen (wie z. B. bei Sport) und seelischen Belastungen sind Teil der Erkrankung und damit auch bei der Höhe des GdB nach den VMG bereits berücksichtigt. Darüber hinausgehende erhebliche Blutzuckerschwankungen sowie damit verbundenen Symptome lassen sich den Befunden von Dr. L. nicht entnehmen. Auch die behandelnde Ärztin hat die Blutzuckerschwankungen der Klägerin als der Pathophysiologie der Krankheit zugrunde liegend in ihrem Befundbericht vom 24. Juni 2014 eingeordnet. Es werden ausweislich der vorgelegten umfangreichen Diabetestagebücher auch keine regelmäßigen nächtlichen Blutzuckermessungen durchgeführt. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ebenso mitgeteilt, dass sie nicht regelmäßig in der Nacht den Blutzucker messe. Im Übrigen musste sich die Klägerin seit dem Neufeststellungsantrag bis zum heutigen Zeitpunkt keinen weiteren stationären Behandlungen wegen des Diabetes mellitus unterziehen.“ | 40 |
BSG | B 9 SB 2/13 R | 16.12.2014 | Kläger 46 Jahre; Typ‑1; ICT; „Das LSG hat die beiden erstgenannten, auf den Therapieaufwand bezogenen Beurteilungskriterien als erfüllt angesehen. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts einzuwenden. Zu Recht geht das Berufungsurteil weiter davon aus, dass dies allein nicht ausreicht, um den GdB mit (mindestens) 50 festzustellen. Vielmehr muss die betreffende Person durch Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sein.“;zuvor GdB 40 SG Magdeburg, 12.02.2004 – S 12 SB 169/02; LSG Sachsen-Anhalt, 15.11.2012 – L 7 SB 68/10 | 40 |
LSG Sachsen-Anhalt | L 7 SB 36/12 | 03.12.2014 | Klägerin 59 Jahre; Typ‑1; ICT; „Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der Lebensführung auswirken können, lässt sich nicht feststellen, dass gravierende Auswirkungen des Diabetes mellitus bei der Klägerin in den Bereichen der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität vorliegen. Die von ihr angegebenen Nachteile durch ihre Stoffwechselerkrankung sind insgesamt zwar einschränkend und belastend, jedoch nicht gravierend im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Gegen eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung sprechen die Angaben der Klägerin zu ihrem Tagesablauf. Sie kann ihren Haushalt offenbar problemlos meistern, Gartenarbeit verrichten, Fahrradfahren und an den privaten Unternehmungen der Familie praktisch ohne Einschränkungen teilnehmen. Insbesondere kann sie im Urlaub selbst körperlich belastende Fernreisen trotz des Diabetes mellitus bewältigen. Gravierende Leistungsbeeinträchtigungen lassen sich auch nicht aus der beruflichen Betätigung der Klägerin ableiten. Bis zu ihrer Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis hat sie in einer körperlich belastenden Wechselschichttätigkeit in einem Callcenter gearbeitet, ohne gesundheitliche Einschränkungen zu zeigen. Funktionell beachtliche Begleitfolgen des Diabetes haben sich bei der Klägerin auch nicht eingestellt. Trotz der tendenziell eher zu hohen Blutzuckerwerte konnte der Sachverständige Dr. M. nur leichte Sensibilitätsstörungen für Vibrationsempfindungen feststellen, denen keine besondere Bedeutung zugemessen werden kann. Hinweise für diabetestypische Augenhintergrundänderungen sowie eine beachtliche Polyneuropathie finden sich dagegen nicht.“; rechtskräftig | 40 |
LSG Sachsen-Anhalt | L 7 SB 35/12 | 14.10.2014 | Kläger 63 Jahre; Typ‑1; ICT; „Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der Lebensführung auswirken können, lassen sich keine gravierenden Einschnitte bei dem Kläger in den Bereichen der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität feststellen. Die von ihm angegebenen Nachteile durch seine Stoffwechselerkrankung sind insgesamt zwar einschränkend und belastend, jedoch nicht gravierend im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. So ist der Kläger in seiner Mobilität nicht eingeschränkt. Er kann einen PKW führen und unternimmt Urlaubsreisen, wie z.B. einen jährlichen Skiurlaub und auch Auslandsreisen. Solche Aktivitäten sind, wenngleich mit einem erhöhten planerischen Aufwand und erschwerten Bedingungen verbunden (weitere Blutzuckermessungen, Begleitung der Ehefrau), immerhin möglich. Der Umstand, dass die Insulindosis auf die Mahlzeiten abgestimmt werden muss, ist Teil der Therapie und nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Auch nicht zusätzlich zu berücksichtigen sind die aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus notwendigen vierteljährlichen Arzttermine beim Diabetologen, dem Hausarzt und dem Augenarzt. Die mit einer Erkrankung üblicherweise verbundenen medizinisch notwendigen Untersuchungen sind wie auch die Notwendigkeit der Einnahme von Medikamenten bei der Bewertung des GdB bereits mit berücksichtigt. Die vom Kläger angegebene Häufigkeit der Arztbesuche geht auch nicht über dieses normale Ausmaß hinaus, so dass auch kein erhöhter Therapieaufwand wegen der Arztbesuche begründet werden kann. Die vom Kläger darüber hinaus angegebenen physiotherapeutischen Behandlungen stehen in keinem Zusammenhang mit der Diabeteserkrankung. Allerdings liegen beim Kläger gravierende Beeinträchtigungen im Bereich der Berufsausübung vor. In seiner beruflichen Tätigkeit als Schulleiter und Sportlehrer ist er durch die Auswirkungen des Diabetes mellitus erheblich eingeschränkt, da er im Sportunterricht einer erhöhten Gefahr von Unterzuckerungen ausgesetzt ist. Bei Unterzuckerungen muss der Kläger seine Tätigkeit unterbrechen. Zu weitere Unterbrechungen der Tätigkeit kommt es während der Sportunterrichts wegen zusätzlicher Blutzuckermessungen. Die krankheitsbedingten Einschränkungen aufgrund des Diabetes mellitus wirken sich damit auf den beruflichen Kernbereich der Arbeit als Sportlehrer aus. Diese Einschränkungen bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit sind aber nicht so gravierend, dass bereits deshalb von einer erheblichen Einschränkung insgesamt ausgegangen werden kann, die die Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigt. Die Tätigkeit als Sportlehrer umfasst nur einen kleineren Teilbereich der beruflichen Tätigkeit. Die dabei ca. zwei bis dreimal monatlich auftretenden Hypoglykämien schränken dabei seine Tätigkeit zwar ein, prägen diese aber nicht. Eine krankheitsbedingte Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bzw. eine Veränderung des Arbeitsbereichs ist beim Kläger nicht notwendig. Der Kläger ist überwiegend als Schulleiter eingesetzt und führt diese Tätigkeit sitzend am Schreibtisch aus. Dabei hat er nach seinen eigenen Angaben keine krankheitsbedingten Probleme. Lediglich bei Veranstaltungen und Versammlungen besteht die erhöhte Gefahr von Unterzuckerungen. Der Umstand, dass der Kläger an mehrtägigen Veranstaltungen nicht mehr teilnehmen will, weil fremde Kollegen nicht von seiner Erkrankung wüssten, kann nicht erhöhend berücksichtigt werden. Mit dem Problem, bei Unterzuckerungen auf mit der Krankheit unvertraute Mitmenschen zu treffen, hat jeder an Diabetes mellitus Erkrankte umzugehen. Auch die damit verbundene psychische Belastung ist im GdB bereits berücksichtigt.“; rechtskräftig | 40 |
LSG Sachsen-Anhalt | L 7 SB 23/13 | 27.08.2014 | Klägerin 55 Jahre; Typ‑1; CS-II; „Zwar führt die Klägerin als Insulinpumpenträgerin nach den Angaben von Dr. L. und ausweislich ihres Diabetikertagebuchs die Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen und selbständigen Dosisanpassungen der Insulingabe durch. Neben der täglichen Injektion mit einem Langzeitinsulin muss sie zu jeder Mahlzeit das kurz wirkende Insulin einsetzen und dabei auch die jeweilige Insulindosis variieren. Hinzu kommen Blutzuckermessungen zu jeder Mahlzeit, sodass bis zu sechs Mal täglich Messungen erfolgen. Allerdings fehlt es bei der Klägerin an erheblichen Einschnitten, die sich so gravierend auf ihre Lebensführung auswirken, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werden kann. Aufgrund der therapie- und erkrankungsbedingten Einschränkungen in der konkreten Lebensführung der Klägerin lässt sich eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus nicht erkennen. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der Lebensführung auswirken können, lässt sich feststellen, dass gravierende Auswirkungen bei der Klägerin nicht in den Bereichen der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität vorliegen. Die von ihr angegebenen Nachteile durch ihre Stoffwechselerkrankung sind insgesamt zwar einschränkend und belastend, jedoch nicht gravierend im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. So ist die Klägerin in ihrer Mobilität nicht eingeschränkt. Sie kann einen PKW führen und Fahrradfahren, geht Schwimmen und unternimmt Reisen. Die von ihr angegebenen Aktivitäten sind, wenn auch mit einem erhöhten planerischen Aufwand verbunden und unter erschwerten Bedingungen (weitere Blutzuckermessungen; beim Schwimmen erneutes Anlegen der Pumpe), letztlich aber nicht ausgeschlossen. Allein der Umstand, dass die Klägerin intensiven Sport – der also über Radfahren und Schwimmen hinausgeht – nicht mehr ausüben kann, lässt keinen Rückschluss auf gravierende Teilhabeeinschränkungen zu, zumal die Klägerin dies nur pauschal behauptet und selbst nicht angegeben hat, welchen Sport sie tatsächlich nicht mehr ausführen kann. Der Umstand, dass die Insulindosis auf die Mahlzeiten abgestimmt werden muss, ist Teil der Therapie und nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Doch selbst die Zwischenmahlzeiten (wie z. B. die von der Klägerin angeführte Tasse Cappuccino) sind nicht krankheitsbedingt ausgeschlossen, sondern ebenfalls unter Beachtung eines Mehraufwandes möglich. Auch gravierende Beeinträchtigungen im Bereich der Berufsausübung liegen nicht vor. Ihre berufliche Tätigkeit als Schlosserin bei der B. ist durch die Auswirkungen des Diabetes mellitus nicht erheblich eingeschränkt. Eine krankheitsbedingte Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bzw. eine Veränderung des Arbeitsbereichs ist von ihr weder angestrebt noch notwendig. […] Die Klägerin wird über den einschränkenden Therapieaufwand hinaus nicht auch noch zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in ihrer Leistungsfähigkeit und damit in ihrer Teilhabefähigkeit am Leben erheblich beeinträchtigt. Durch die Umstellung auf die Insulinpumpentherapie im Oktober 2011 hat sich, wie Dr. L. mitgeteilt und die Klägerin auch selbst bestätigt hat, die Stoffwechselqualität wesentlich verbessert.“; rechtskräftig | 40 |
SG Aachen | S 12 SB 666/13 | 12.08.2014 | Kläger; Alter unbekannt; „Der Kläger spritzt dreimal täglich Insulin unter entsprechender Berücksichtigung der jeweiligen Blutzuckerwerte. Das HbA1c lag nach Angaben des Klägers gegenüber dem Gutachter zuletzt bei 9,5%, die Blutzuckerwerte lägen fast immer unter 200mg%. Im Bereich der Fußsohle verspüre der Kläger ein Kribbeln. Der Gutachter ermittelte im Rahmen der Untersuchung einen Blutzuckerwert von 298 mg%, der HbA1c Wert lag bei 9,3%. Ein Anhalt für eine diabetische Retinopathie lässt sich bislang nicht objektivieren. Weder im Rahmen der Untersuchung noch anhand der übrigen Befunde und ärztlichen Stellungnahmen im Rahmen des Verfahrens lassen sich beim Kläger besondere Einschnitte in der Lebensführung objektivieren. Die Feststellung eines GdB von mindestens 50 allein für die Zuckerkrankheit lässt sich vor diesem Hintergrund – trotz nicht befriedigend eingestellten Wertes (vgl. dazu Müller, Ernährungsmedizinische Praxis, 2007, S. 111) – nicht rechtfertigen. Der hierfür erforderliche – und das Leben ggf. einschränkende – Therapieaufwand wird vom Kläger offensichtlich nicht betrieben (vgl. dazu BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 39). Mit dem Gutachter Dr. Q erachtet die Kammer den vorgeschlagenen GdB von 40 für angemessen.“ | 40 (90 insgesamt) |
LSG Sachsen-Anhalt | L 7 SB 40/12 | 23.04.2014 | Kläger 39 Jahre; Typ‑1; CS-II; „Betrachtet man die therapie- und erkrankungsbedingten Einschränkungen in der konkreten Lebensführung, lässt sich eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus nicht erkennen. Dies entspricht auch der Einschätzung der MediClin S.-Klinik vom Oktober 2010. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der Lebensführung auswirken können, lässt sich feststellen, dass gravierende Auswirkungen beim Kläger nicht in den Bereichen der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität, sondern lediglich im Bereich der Berufsausübung vorliegen. Gravierende Auswirkungen in nur einem Lebensbereich sind unter Berücksichtigung der weiteren Teilbereiche aber nicht ausreichend, um insgesamt eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung annehmen zu können. Im Bereich der beruflichen Tätigkeit als Rettungsassistent ist der Kläger durch die Auswirkungen des Diabetes mellitus erheblich eingeschränkt, da er wegen der besonderen Gefährdungslage bei möglichen Unterzuckerungen nicht als Fahrer eingesetzt werden kann. Die krankheitsbedingten Einschränkungen aufgrund des Diabetes mellitus wirken sich damit auf den beruflichen Kernbereich der Arbeit als Rettungsassistent aus. Diese Einschränkungen bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit sind aber nicht so gravierend, dass bereits deshalb von einer erheblichen Einschränkung insgesamt ausgegangen werden kann, die die Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigt. Denn eine krankheitsbedingte Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bzw. eine Veränderung des Arbeitsbereichs ist beim Kläger nicht notwendig. Trotz der ganz erheblichen Belastungen durch Schichtdienst und die körperlich schwere Arbeit beim Krankentransport kann der Kläger den beruflichen Anforderungen eines Rettungsassistenten nachkommen. Für seine hohe körperliche Belastbarkeit sprechen auch seine Aktivitäten bei der Freiwilligen Feuerwehr und während des Fluteinsatzes in Sachsen-Anhalt im Juni 2013 unter besonders belastenden Arbeitsbedingungen.“; rechtskräftig | 40 |
BSG | B 9 SB 3/12 R | 17.04.2013 | Kläger 41 Jahre; Typ‑1; ICT; „Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG ist es zudem – auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens – auszuschließen, dass der GdB des Klägers in Anwendung von Teil B Nr 15.1 Abs 5 AnlVersMedV einen Wert von 50 erreicht. Nach dieser Vorschrift können außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen jeweils höhere GdB-Werte bedingen. Ausgehend von einem GdB von 40 wäre danach eine Erhöhung auf 50 theoretisch möglich. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind jedoch zweifelsfrei nicht erfüllt, da entsprechende Stoffwechsellagen bei dem Kläger vom LSG nicht festgestellt worden sind. Die bloße Möglichkeit, dass zukünftig derartige schwerwiegende Stoffwechsellagen eintreten können, genügt den Anforderungen nicht. Schließlich geht die von dem Kläger in diesem Zusammenhang vertretene Ansicht fehl, er dürfe wegen seines konsequenten Therapieverhaltens und seiner vernünftigen Lebensführung in Bezug auf seine Erkrankung bei der Festsetzung des GdB nicht gegenüber einem behinderten Menschen benachteiligt werden, der bei gleicher Krankheitslage wegen einer nicht so konsequent durchgeführten Therapie eine schlechtere Stoffwechsellage aufweise und dem deswegen einer höherer GdB als ihm zuerkannt werde. Dabei übersieht der Kläger, dass die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ausschließlich final, also orientiert an dem tatsächlich bestehenden Zustand des behinderten Menschen zu erfolgen hat, ohne dass es auf die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsstörung ankommt.“ | 40 |
LSG Sachsen-Anhalt | L 7 SB 33/10 | 20.12.2012 | Kläger 44 Jahre; Typ‑1; ICT; Morbus Addison; Morbus Basedow; rechtskräftig | 50 (40 für DM) |
LSG Sachsen-Anhalt | L 7 SB 68/10 | 15.11.2012 | Kläger 44 Jahre; Typ‑1; ICT; rechtskräftig | 40 |
BSG | B 9 SB 2/12 R | 25.10.2012 | Klägerin 58 Jahre; Typ‑1; ICT; „Entgegen der Ansicht der Klägerin reicht ein Erfüllen dieser beiden, auf den Therapieaufwand bezogenen Beurteilungskriterien nicht aus. Vielmehr muss die betreffende Person durch Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein. Das kommt in Teil B Nr 15.1 Abs 4 Anl VersMedV durch die Verwendung des Wortes „und“ deutlich zum Ausdruck. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass bei einem entsprechenden Therapieaufwand immer eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vorliegt. Je nach den persönlichen Fähigkeiten und Umständen der betreffenden Person kann sich die Anzahl der Insulininjektionen und die ständige Anpassung der Dosis nämlich unterschiedlich stark auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Abgesehen davon ist für die Beurteilung des GdB bei Diabetes mellitus auch die jeweilige Stoffwechsellage bedeutsam (vgl auch Teil B Nr 15.1 Abs 3 Anl VersMedV; allgemein dazu BSG Urteil vom 24.4.2008 – B 9/9a SB 10/06 R – SozR 4–3250 § 69 Nr 9 RdNr 40), die im Rahmen der Prüfung des dritten Merkmals (gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung) berücksichtigt werden kann. Die durch erhebliche Einschnitte bewirkte gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung kann mithin auf Besonderheiten der Therapie beruhen, etwa wenn ein Erkrankter aufgrund persönlicher Defizite für eine Injektion erheblich mehr Zeit benötigt als ein anderer, im Umgang mit den Injektionsutensilien versierter Mensch. Einschnitte in der Lebensführung zeigen sich daneben auch bei einem unzulänglichen Therapieerfolg, also der Stoffwechsellage des erkrankten Menschen. Schließlich geht die von der Klägerin in diesem Zusammenhang vertretene Ansicht fehl, sie dürfe wegen ihres konsequenten Therapieverhaltens und ihrer vernünftigen Lebensführung in Bezug auf ihre Erkrankung bei der Festsetzung des GdB nicht „schlechter“ behandelt werden als ein behinderter Mensch, der bei gleicher Krankheitslage wegen einer nicht so konsequent durchgeführten Therapie eine schlechtere Stoffwechsellage aufweise und dem deswegen ein höherer GdB als ihr zuerkannt werde. Die Klägerin übersieht, dass die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ausschließlich final, also orientiert an dem tatsächlich bestehenden Zustand des behinderten Menschen zu erfolgen hat, ohne dass es auf die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsstörung ankommt.“ | 40 |
LSG Rheinland-Pfalz | L 4 SB 182/10 | 25.07.2011 | Kläger 47 Jahre; Typ‑1; ICT; rechtskräftig | 40 |
LSG Berlin-Brandenburg | L 13 SB 162/10 | 19.05.2011 | Kläger 49 Jahre; Typ‑1; ICT; rechtskräftig | 40 |
Kleiner Hinweis: Die Liste ist nicht vollständig. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Es werden erstens gar nicht alle Urteile veröffentlicht, sondern teilweise nur den Parteien zugestellt und abgeheftet. Und zum anderen passten einige Urteile nicht zum Thema (Typ‑2 oder Streitigkeiten um die Frage, ob Diabetes im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen das Merkzeichen aG begründet). Die Urteile wurden aber ergebnisoffen ausgewählt. Ich habe wegen geringer Relevanz jedoch solche Urteile weggelassen, die vor dem 01.01.2011 gefallen sind.
Mir ist aber bewusst, dass es viele gibt, die sagen „ich finde die Gerichte entscheiden das falsch“. Rechtsfindung hat zwar das Wort finden im Namen, hängt oft aber wenig mit der persönlichen Meinung zu tun.
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Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.