Ich nehme an der „Diabetes Blog Woche“ (DBW) teil, aus diesem Grunde werde ich diese Woche jeden Tag einen Beitrag zu einem vorgegebenen Thema aus dem Bereich Diabetes schreiben, der aber nichts mit „Rechtsfragen“ an sich zu tun hat; mit Rechtsfragen geht es aber spätestens danach weiter. Die Diabetes Blog Woche soll Diabetes-Blogger animieren gemeinsam an einem bestimmten Tag Beiträge zu einem Thema zu schreiben, um das Thema von vielen verschiedenen Seiten zu beleuchten. Mehr Informationen zur Diabetes Blog Woche gibt es hier: Diabetes-Blog-Woche.de
Thema heute: Technik, die begeistert
Stell Dir vor, Du wärst Produktentwickler bei einem großen Pharmaunternehmen. Wie würde ganz realistisch Deine TraumInsulinpumpe, Dein TraumMessgerät oder Dein TraumPen aussehen!? Und was erwartest Du von der Zukunft in den nächsten 5 Jahren?
Heute soll ich beschreiben, welche Technik ich auf den Markt bringen würde, wenn ich (Chef-)Produktentwickler wäre. Hätte, hätte, Fahrradkette, bin ich ja nicht. Dennoch habe ich natürlich gewisse Vorstellungen!
Barrierefreiheit
Ein ganz wichtiges Kriterium für mich wäre die Barrierefreiheit. Heute ist es so, dass es keine Insulinpumpe aktiv auf dem Markt gibt, die von blinden oder sehbehinderten Menschen bedient werden kann. Die einzige verwendbare Pumpe ist/war die Deltec Cozmo, die viele von euch wahrscheinlich gar nicht mehr kennengelernt haben. Die Cozmo gibt es nicht mehr auf dem Markt, das Zubehör, das noch verfügbar ist, geht zur Neige. Blinde Menschen haben sich an dieser Pumpe festgehalten, weil es für diese Menschen Freiheit bedeutet, ihr Leben selber gestalten zu können. Bisher hat kein anderer Hersteller eine entsprechende Funktionalität eingebaut. Traurig!
Ähnlich sieht es auf dem Markt der Blutzuckertestgeräte aus. Es gibt einige wenige Messgeräte, die von Blinden bedient werden können. Keines ist zufriedenstellend! Entweder ist die Umsetzung mehr schlecht als recht oder das Gerät ist ein Billigimport aus Fernost, mit entsprechender Genauigkeit. Die großen Blutzucker haben entweder keine solchen Blutzuckermessgeräte oder die Produktion eingestellt, weil die Produktion ein paar Pfennige mehr kostet, als ohne die Funktion. Die Kostendifferenz ist minimal und, selbst wenn dann alle Blutzuckermessgeräte auf dem deutschen oder europäischen Markt 10 Cent teurer würden, dann wäre dies schon vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips hinzunehmen! Ein besonders trauriges Beispiel ist Sanofi. Das iBG Star funktioniert mit dem iPhone. Das iPhone ist für Blinde genial, einfach und intuitiv zu bedienen und VoiceOver klappt gut. Das iBG Star kann man an das iPhone anschließen und dann den Blutzuckerwert auf dem iPhone ansehen, alles gut und fein. Zu Anfang wurde dieser Blutzuckerwert als Text dargestellt, d. h. das iPhone hat diesen Text vorgelesen, ein Blinder hatte damit ein gutes Blutzuckermessgerät mit der iPhone VoiceOver Funktion. Als Sanofi mitbekommen hat, dass Blinde dies verwenden hat Sanofi mit einem Update, ohne dies entsprechend anzukündigen, die Text Anzeige des Blutzuckerwertes gegen eine Bildanzeige ausgetauscht. Bilder kann das iPhone weder vorlesen noch beschreiben; für Blinde ist damit auch dieses Messgerät nicht mehr verwendbar. Zusatzkosten hatte Sanofi nicht, den Grund für dieses Handeln, kann ich euch nicht sagen.
Auch die CGM Geräte und die neue FGM Technik sind bisher nicht barrierefrei, dabei wäre gerade das eine unglaubliche Erleichterung. Hier ein Tipp zum selber nachfühlen: Verbindet euch mal die Augen und versucht Blutzucker zu messen, mit Pieksen und Streifen zum Blut führen. Schwierig oder? So ein Tropfen Blut gibt maximal einmal ein haptisches Feedback, dann ist er weg und wie sieht man, ob der Tropfen groß genug ist oder der Streifen voll ist, wenn man sich die Augen verbindet? Ich kann es nicht. Das mehr (CGM) oder weniger (FGM) automatisch messende System wäre hier an Genialität nicht mehr zu überbieten.
Insgesamt sollen, so wohl die Hersteller, blinde Menschen nicht alleine eigenverantwortlich für sich Handeln. Dabei handelt es sich bei der Retinopathie um eine der ersten und eine der häufigsten, wenn nicht sogar die häufigste, Folgeerkrankung von Diabetes mellitus. Und nun? DDH‑M kämpft mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) für eine Barrierefreiheit.
Mehr Informationen findet ihr auf der Webseite von Diana: Blindentips.info
Pressemitteilung: Experten fordern Blutzuckermessgeräte mit akustischen Signalen
Pressemitteilung: diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe fordert barrierefreie Apps
Modernität
Die Vorgabe hier war, realistische Wünsche abzugeben. Technisch absolut realistisch, zulassungsrechtlich aber problematisch wäre mein nächster Wunsch. Ich würde mir eine Vernetzung bzw. der Bedienung dieser Geräte auf meinem Smartphone wünschen. Es wäre doch unglaublich praktisch, die Insulinpumpe über das iPhone zu bedienen oder das Messgerät automatisch über Bluetooth auszulesen oder CGM Kurven auf dem iPhone oder iPad anzuschauen. Technisch ist das absolut kein Problem, es dürfte auch nicht teuer sein, dies umzusetzen. Zulassungsrechtlich ist es aber problematisch und deswegen wird es zumindest in absehbarer Zeit nicht umgesetzt werden.
Geräte und deren Software müssen von den jeweiligen Behörden der Länder, auf deren Markt die Geräte verkauft werden sollen, zugelassen werden. Hierfür sind Studien und Tests notwendig. Das gilt natürlich auch für Firmware- und Betriebssystemupdates. Wenn also Apple oder Google ein neues Betriebssystem veröffentlichen würden, müssten die Hersteller schon zügig vorher entsprechende Tests, insbesondere Sicherheitstests, durchführen. Denn es muss sichergestellt sein, dass die Software mit den Geräten noch einwandfrei zusammen arbeitet und nicht plötzlich wegen eines Rechenfehlers an Stelle von 2,1 Einheiten 21,0 Einheiten von der Insulinpumpe gespritzt werden. Logisch! Solche Studien und Tests und ein etwaiges neues oder ergänzendes Zulassungsverfahren kosten erhebliche Summen.
Und der absolute Knaller wäre folgendes: Ich will Wireless Insulin für meine Pumpe haben, das fällt aber wohl wegen des Kriteriums realistisch flach. Schade!
Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.