Regelmäßig kommt die Frage auf, ob ein höherer Grad der Behinderung (GdB) wegen psychischer Belastungen möglich ist. Gemeint ist damit ein GdB, der über die Regelbeispiele in der Anlage 1 der Versorgungsmedizin-Verordnung GdB hinausgeht.
Wie so häufig kommt es darauf an. Die Grade der Behinderung sind höchst individuell zu bewertet und am Ende ist die endgrasige Einschränkung der Teilhabe maßgeblich. Die Einschränkungen an der Teilhabe machen also den GdB aus, nicht die Krankheit an sich.
Im Übrigen muss die psychische Beeinträchtigung häufig Krankheitswert erreichen, um für den GdB gesondert berücksichtigt zu werden. Außerdem mindestens einen GdB von 20 erreichen. Denn die üblichen (auch psychischen) Beeinträchtigungen sind in den Regelbeispielen berücksichtigt.
Einen solchen Fall hatte kürzlich auch das SG Stuttgart zu entscheiden:
Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Sinne von Teil B Nummer 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung setzt eine engmaschige psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung voraus (Gerichtsbescheid vom 2.1.2020, S 22 SB 2980/15, Berufung anhängig).
Der 1970 geborene Kläger hatte seit dem Jahr 2008 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40. Im September 2014 beantragte er die Erhöhung des GdB auf 80. Zur Begründung berief er sich auf die schon seit 2008 bestehenden Gesundheitsstörungen eines chronischen Schmerzsyndroms und einer depressiver Verstimmung. Der Antrag des Klägers hatte weder im Verwaltungsverfahren vor dem Versorgungsamt, noch im Widerspruchsverfahren vor dem Landesversorgungsamt Erfolg.
Die Kammer hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40. Maßstab für die Feststellung des GdB sei die Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Nach Teil B Nummer 3.7 VG seien leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Teil-GdB von 0 bis 20 zu bewerten. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) rechtfertigten einen GdB von 30–40. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit setze nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg eine engmaschige psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung voraus. Daran fehle es hier. Der Kläger sei nur etwa alle zwei Monate fachpsychiatrisch behandelt worden. Dies genüge nicht den Anforderungen an eine engmaschige Psychotherapie. Der Kläger empfinde den Leidensdruck auf psychiatrischem Fachgebiet als nicht so stark, als dass er ihn nicht ohne engmaschige Psychotherapie bewältigen könne. Unabhängig davon seien der strukturierte Tagesablauf und die Freizeitgestaltung des Klägers Ausdruck seiner fortdauernden Fähigkeit zum Zeitmanagement, seiner erhaltenen sozialen und Alltagskompetenzen sowie der erfolgreichen Ausübung seiner Führungs- und Kontrollfunktion. Schließlich zeige der psychische Befund keine Beeinträchtigung der Integrität der psychischen Funktionen des Klägers.
Vgl. Sozialgericht Stuttgart, Gerichtsbescheid vom 2.1.2020, S 22 SB 2980/15, Berufung anhängig, https://sozialgericht-stuttgart.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Presse/Aktuelle+Rechtsprechung+2020/?LISTPAGE=1211600.
Jan hat deutsches und niederländisches Recht in Bremen, Oldenburg und Groningen studiert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in einer Kanzlei für Medizin- und Sozialrecht in Bochum. Außerdem hat er eine Zusatzausbildung im Datenschutz (Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV) gemacht. Schon während seines Studiums engagierte er sich ehrenamtlich im Bereich Diabetes, insbesondere zu Gunsten von Kindern und Jugendlichen, und hat die Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH‑M) e. V. mitbegründet und aufgebaut. Er engagiert sich zudem in der Stiftung Stichting Blue Diabetes.