In dem Rechtsstreit
[…]
hat der 17. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen am 09.07.2021 durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Dr. […], den Richter am Landessozialgericht Dr. […] und die Richterin am Landessozialgericht […] für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 26.02.2019 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin vorliegenden Grades der Behinderung.
Am […].2017 beantragte die am […].2012 geborene Klägerin durch ihre Eltern die Feststellung eines Grades der Behinderung und des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) und H (Hilflosigkeit) für die Zeit ab dem […].2016.
Der Beklagte holte Arzt- und Befundberichte des behandelnden Augenarztes Dr. […] sowie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der […] gGmbH ein und wertete diese zusammen mit einer elterlichen Stellungnahme und einem übersandten Blutzuckertagebuch für die Zeit bis zum 11.01.2017 durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, der bei der Klägerin vorliegenden Diabetes Typ 1 (ED […].2016) bedinge einen Grad der Behinderung (GdB) von 40. Hierbei wurde die bestehende Insulinpumpentherapie seit Dezember 2016 unter Verwendung eines Flashglukosesystems Free Style Libre mit durchschnittlich 19 Scans und drei manuellen Messungen berücksichtigt. Das Merkzeichen H komme in Betracht, nicht aber das Merkzeichen B.
Mit Bescheid vom […].2017 stellte der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 40 sowie das Vorliegen von Hilflosigkeit fest.
Hiergegen legten die Eltern der Klägerin am […].2017 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom […].2017 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Am 15.09.2017 ist beim Sozialgericht (SG) Aachen ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangen, in dem erneut die Klageschrift übersandt worden ist, nachdem ein Eingang der per EGVP am 06.09.2017 übermittelten Klageschrift bei Gericht nicht festgestellt werden konnte. Nach Hinweis der Kammervorsitzenden, dass derzeit davon auszugehen sei, dass die Klage verfristet sei, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Sendeberichte vorgelegt. In der Sache hat die Klägerin vorgetragen, dass bei ihr erheblich größere Teilhabebeeinträchtigungen bestünden, als dies vom Beklagten berücksichtigt worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom […].2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom […].2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von ·mindestens 50 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H ab dem […].2016 festzustellen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass nicht ersichtlich sei, aus welchem Grund bei der Klägerin der mit der Behandlung der Grundkrankheit verbundene Aufwand, den üblicherweise mit einem kindlichen Diabetes mellitus verbundenen Aufwand in GdB-relevantem Ausmaß übersteigen solle. Eine Sonderbewertung für den Diabestes mellitus im Vorschulalter sähen die gesetzlichen Vorgaben nicht vor.
Das Gericht hat jeweils einen Befundbericht vom Arzt für Kinder- und Jugendmedizin und Diabetologie PD Dr. […] vom 04.12.2017, vom Arzt für Kinder- und Jugendmedizin […] vom 08.12.2017 und vom Augenarzt Dr. […] vom 14.12.2017 eingeholt. Im Anschluss hat das Gericht ein Gutachten des Kinder- und Jugendmediziners Dr. […] vom 05.04.2018 eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31.05.2018 zu der Einschätzung gelangt, dass bei der Klägerin ein GdB von 50 vorliege. Es bestünden bei dieser gravierende Einschnitte in der Teilhabe. Aus kinderärztlicher Sicht seien die Einschnitte in die Lebensführung und Teilhabe auch durch die ständige Überwachung durch das Sensorgerät, verbunden mit der sowohl tagsüber als auch nächtlichen ständigen Alarmbereitschaft, als gravierend anzusehen. Es sei durch das Blutzuckertagebuch der Klägerin auch nachgewiesen, dass bei der Klägerin bereits lebensbedrohliche Hypoglykämien aufgetreten seien.
Mit Urteil vom 26.02.2019 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin den GdB ab dem […].2016 mit 50 zu bewerten und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H festzustellen.
Die Klage sei zulässig, weil der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen sei. Sie habe aufgrund der ihr vorliegenden Sendedokumente davon ausgehen dürfen und müssen, dass die Klage auf einem dem Sozialgericht Aachen zugewiesenen Server fristgerecht eingegangen sei. Die Klage sei auch begründet, weil die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertigten. Die Klägerin leide im Wesentlichen unter einem insulinpflichtigen Typ-1-Diabetes, der mit einem GdB von 50 zu bewerten sei. Für die Bewertung eines insulinpflichtigen GdB mit einem GdB von 50 müssten drei Beurteilungskriterien erfüllt sein. Es müssten (1.) täglich mindestens vier Insulininjektionen durchgeführt werden. Es müsse darüber hinaus (2.) eine selbständige Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung erfolgen sowie (3.) eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung durch erhebliche Einschnitte vorliegen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei zu berücksichtigen, dass diese drei Kriterien in einer Gesamtschau die sachgerechte Beurteilung des Gesamtzustands erleichtern sollten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R-, juris Rn. 16). Diese Kriterien seien erfüllt. Es stehe zur Überzeugung der Kammer aufgrund der glaubhaften Angaben der Mutter der Klägerin im Verfahren sowie den von den Eltern der Klägerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingereichten Blutzuckertagebüchern fest, dass die Klägerin, beziehungsweise ihre Eltern, regelmäßig vier Mal am Tag den Blutzuckerspiegel messe und in Abhängigkeit von den hierbei ermittelten Werten Insulin gespritzt werde. Es stehe zur Überzeugung der Kammer auch fest, dass bei der Klägerin durch die Erkrankung auch unter Berücksichtigung der vom BSG geforderten strengen Voraussetzungen die für die Annahme eines GdB von 50 erforderlichen, erheblichen Einschnitte mit gravierenden Beeinträchtigungen der Lebensführung gegeben seien. Zwar seien die mit der vorausgesetzten Insulintherapie zwangsläufig verbundenen Einschnitte grundsätzlich nicht geeignet, eine zusätzliche („und“) gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung hervorzurufen. Im vorliegenden Fall seien sie nach Auffassung der Kammer gleichwohl zu bejahen. Zum einen seien insofern die vorhandenen Arztberichte und die Feststellungen des Gutachters Dr. […] zu berücksichtigen. In den vorliegenden Ausdrucken aus dem Blutzuckertagebuch zeigten sich bis hin zu deutlichen Hypoglykämien mit Blutzuckerwerten von 39 mg/dl und 41 mg/dl an einzelnen Tagen, an anderen zwischen 40 mg/dl und 50 mg/dl. Hierbei handele es sich um Werte, die zweifellos in den hypoglykämischen Bereich zu rechnen seien. Bislang hätten allerdings insbesondere dank der Aufmerksamkeit der Eltern der Klägerin durch Interventionen wie durch Gabe von (flüssigem) Traubenzucker oder sonstige Maßnahmen wesentliche Auswirkungen der Unterzuckerung vermieden werden können. Auch wenn bislang noch keine akut notwendigen Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte wegen eines hypoglykämischen Schocks objektiviert seien, handele es sich bei diesem Aspekt nach Auffassung der Kammer nur um einen Teilaspekt, der bei der Frage nach dem Vorliegen gravierender Einschränkungen zu beachten sei. Ein anderer Aspekt sei, dass die konkrete Einstellung des Diabetes bei der Klägerin mit erheblichen – über das normale Maß eines Erwachsenen hinausgehenden – Schwierigkeiten verbunden sei. Dabei verkenne die Kammer nicht, dass bei der Bewertung des GdB bei Kindern grundsätzlich kein anderer Maßstab gelte als bei Erwachsenen. Die Tatsache, dass sich bestimmte Beeinträchtigungen bei Kindern aber schon faktisch anders darstellten, müsse gleichwohl bei der Frage nach der konkreten Teilhabebeeinträchtigung gestellt werden. Denn die konkrete Teilhabebeeinträchtigung bestimme letztlich die Höhe des GdB.
Die Kammer verkenne auch nicht, dass das von der Klägerin verwendete Flash Glukose Monitoring System Free Style Libre durchaus mit Vorteilen für den Patienten verbunden sei. Es sei aber nach Auffassung der Kammer durchaus zu berücksichtigen, dass die der Klägerin zur Verfügung stehenden Hilfsmittel eben nicht für den Gebrauch bei Kindern speziell konzipiert worden seien, was schon im Hinblick auf die Größe und Handlichkeit stärkere Nachteile für die sechsjährige Klägerin habe. Dass hier schon im Hinblick auf Körpergröße und ‑gewicht Unterschiede zu erwachsenen Trägern entsprechender Diabetes-Hilfsmittel bestünden, sei evident. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der tägliche bzw. zweitägliche Wechsel des Katheters und der alle sieben Tage erforderliche Wechsel des Sensors im Hinblick auf Alter und Gewicht der Klägerin belastender ist, als dies für einen erwachsenen oder auch jugendlichen Patienten wäre.
Trotz der intensiven Bemühungen der Eltern seien aufgrund des Alters und des Tätigkeitsprofils der Klägerin überdies auch weiterhin recht stark schwankende Blutzuckerwerte mit den damit einhergehenden somatischen und psychischen Folgen für die Klägerin festzustellen. Mit der Dauer der Erkrankung und dem zunehmenden Entwicklungsgrad der Patientin steige die Fähigkeit, Entwicklungen des Blutzuckers zu spüren und hierauf adäquat zu reagieren. Der Sachverständige Dr. […] habe festgestellt, dass die Klägerin zwar durchaus in der Lage ist, eine Hypoglykämie-Entwicklung zu spüren. Sie könne aber ohne Hilfe darauf nicht adäquat reagieren und überdies fänden sich gleichwohl häufiger die bereits oben erwähnten Unterzuckerungen. Gerade diese bestehenden Schwierigkeiten in der Feinjustierung – trotz umfassender Aufsicht – seien zu berücksichtigen. Ein Teil dieser benannten umfassenden Aufsicht sei auch die Tatsache, dass die Klägerin auch nachts regelmäßig blutig den Blutzucker gemessen bekomme. Auch dies sei nach Auffassung der Kammer ein Aspekt, der als gravierend zu bezeichnen ist. Zwar verkenne die Kammer auch hier nicht, dass häufige Messungen, die der Vorsicht um die Gesündheit geschuldet seien und medizinisch nicht notwendig seien, als irrelevant für die Bewertung des GdB angesehen werden (LSG NRW Urteil vom 09.06.2017 – L 21 SB 400/15 = juris Rn. 28 unter Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 23.11.2016 – L 13SBi12/14 = juris Rn. 17). Die Kammer gehe aber nach dem Ergebnis der Ermittlungen davon aus, dass sich im vorliegenden Fall im Hinblick auf die sich als schwierig erweisende Einstellung und das kindliche Alter der Klägerin eine entsprechende Notwendigkeit ergebe. Die Klägerin werde bei den spätabendlichen oder nächtlichen Messungen und den ggf. erforderlichen Nahrungsgaben aus dem Schlaf gerissen, was auch unter Berücksichtigung der latsache, dass die Klägerin nunmehr die Grundschule besuche, durchaus eine starke Teilhabebeeinträchtigung darstelle. In einer Gesamtabwägung komme die Kammer zu der Einschätzung, dass vorliegend auch das – restriktiv auszulegende – Tatbestandsmerkmale einer erheblichen Teilhabebeeinträchtigung durch gravierende Einschnitte bei der Klägerin derzeit vorläge. Wie sich die Erkrankung in der Folgezeit entwickeln würde, sei derzeit für keinen der Beteiligten – und auch nicht das Gericht – abzuschätzen.
Gegen das ihr am 11 .03.2019 zugestellte Urteil richtet sich die vom Beklagten am 02.04.2019 eingelegte Berufung. Zu deren Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen im Klageverfahren und trägt ergänzend u. a. vor, dass aus medizinischer Sicht keine ausreichend dokumentierte Grundlage für einen GdB von 50 vorliege. So sei vom Gutachter auch nur ein BZ-Tagebuch über einen Zeitraum von einem Monat (Februar/März 2018) ausgewertet worden. Gravierende Einschnitte in der Teilhabe ließen sich daraus nicht ableiten.
Nächtliche Unterzuckerungen, die mit einer Kaloriengabe verbunden waren, seien im dokumentierten Zeitraum dreimal aufgetreten. Es liege auch zum Zeitpunkt der Berufungsbegründung keine Blutzuckerdokumentation über einen angemessenen Zeitraum von zwei bis drei Monaten vor. Soweit das Urteil außerdem auf einer gravierenden Teilhabenbeeinträchtigung durch das von der Klägerin verwandte Messsystem gründe, sei dies nicht nachvollziehbar. Zu Unrecht berücksichtige das SG in seinem Urteil bei der Beurteilung des GdB auch, dass die zum Untersuchungszeitpunkt fünfjährige Klägerin nicht adäquat auf auftretende Hypoglykämien reagieren könne. Dies sei jedoch dem Alter geschuldet und spiele lediglich bei der Frage des Vorliegens von Hilflosigkeit eine Rolle, aber nicht bei der Bemessung des GdB.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 26.02.2019 aufzuheben.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Anforderung des Senats hat die Klägerin noch das Blutzuckertagebuch für die Zeit vom 01.02.2020 bis zum 22.09.2020 vorgelegt. Danach bestand in den Monaten April und Mai 2020 in jeweils sechs und im Monat August 2020 in 13 Nächten die Notwendigkeit zur Gabe von Kohlenhydraten nach entsprechender Blutzuckermessung (für die Monate Juni und Juli lagen offenbar auf Grund eines Gerätefehlers keine durchgehenden Messwerte vor).
Der Beklagte hat dazu unter Vorlage von versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 18.01.2021 und 24.02.2021 u. a. noch vorgetragen, dass in der nunmehr vorgelegten Dokumentation sich häufende Ereignisse dokumentiert seien, durch die aktuell ab April 2020 tatsächlich eine zusätzliche bewertbare Teilhabebeeinträchtigung nachgewiesen sein könnte. Da ein solcher Zustand bisher nicht nachgewiesen gewesen sei, könne er nicht als Entscheidungsgrundlage für einen GdB von 50 ab Antragszeitpunkt dienen.
Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 03.02.2021, dem Beklagten zugestellt am 12.02.2021, zu einer vom Senat beabsichtigten Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
II.
Der Senat konnte nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, da er die Streitsache einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet: Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom […].2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom […].2017 zu Recht verurteilt, den GdB der Klägerin ab dem […].2016 mit einem GdB von 50 zu bewerten und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H festzustellen.
Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, die er sich insoweit nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage im Wesentlichen zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Beklagten im Berufungsverfahren. Hierin wiederholt dieser im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und macht außerdem u. a. noch geltend, dass aus seiner Sicht keine ausreichend dokumentierte Grundlage für einen GdB von 50 gegeben sei. Vom Gutachter sei nur ein BZ-Tagebuch über einen Zeitraum von einem Monat ausgewertet worden. Gravierende Einschnitte in der Teilhabe ließen sich daraus nicht ableiten. Nächtliche Unterzuckerungen, die mit einer Kaloriengabe verbunden waren, seien im dokumentierten Zeitraum nur dreimal aufgetreten. Es liege auch bis zum Zeitpunkt der Berufungsbegründung keine Blutzuckerdokumentation über einen angemessenen Zeitraum von zwei bis drei Monaten vor.
Hieraus folgt keine abweichende Beurteilung, auch wenn dem Beklagten insoweit zuzustimmen ist, dass der vom Gutachter ausgewertete Zeitraum sehr knapp bemessen gewesen ist. Indes ergeben sich aus den im Berufungsverfahren beigezogenen Unterlagen und insbesondere dem Blutzuckertagebuch für die Zeit von Februar bis September 2020 stärkere Unterzuckerungen, die eine Kohlenhydratzufuhr mit Fremdhilfe in der Nacht nach sich gezogen haben, für einen erheblich längeren Zeitraum und in einem deutlich größeren Umfang, als aus den bislang berücksichtigten Unterlagen, die, wie dargelegt, allerdings auch nur einen Zeitraum von einem Monat (Anfang Februar bis Anfang März 2018) umfasst haben. So bestand etwa im Monat August 2020 in dreizehn, im April und Mai 2020 in jeweils sechs Nächten die Notwendigkeit zur Gabe von Kohlenhydraten nach entsprechender Blutzuckermessung (für die Monate Juni und Juli lagen offenbar auf Grund eines Gerätefehlers keine durchgehenden Messwerte vor). Zur Überzeugung des Senat stellen diese häufigen Störungen der Nachtruhe für die mittlerweile neunjährige schulpflichtige Klägerin erhebliche Einschnitte dar, die eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung bedingen, indem sie u. a. zu Müdigkeit und Unkonzentriertheit auch in der Schule führen, wie dies auch aus den vorgelegten Unterlagen der Eltern der Klägerin hervorgeht. Ausweislich der von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen wird dies offenbar auch von dieser im Ergebnis nicht grundlegend anders bewertet. So wird in den versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 18.01.2021 und 24.02.2021 u. a. ausgeführt, dass ausweislich der nunmehr vorliegenden Dokumentation von 02/2020 – 09/2020 tatsächlich eine zusätzlich bewertbare Teilhabebeeinträchtigung nachgewiesen sein könnte. Der Senat geht mit dem SG auch davon aus, dass der GdB bereits ab Diagnosedatum festzustellen ist. In diesem Zusammenhang sieht er sich zu dem Hinweis veranlasst, dass bei einer zukünftigen Überprüfung als Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob eine Verbesserung angenommen werden kann, der nunmehr im Berufungsverfahren nachgewiesene Zustand, mit häufigen nächtlichen Unterzuckerungen mit der Notwendigkeit zur Kohlenhydratgabe und den daraus folgenden nachteiligen Auswirkungen auf den Tagesablauf, bereits bezogen auf den Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung (24.02.2016) zu Grunde zu legen sein wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung:
[…]
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Rechtskraft
Das Landessozialgericht hat die Revision nicht zugelassen, eine Nichtzulassungsbeschwerde wurde nicht eingelegt. Die Entscheidung ist daher rechtskräftig.